Wie der Streit um Häuser in Sheikh Jarrah den Konflikt in Nahost entzündet hat
In dem bewaffneten Konflikt zwischen militanten Palästinensern im Gazastreifen und Israel, der am 10. Mai 2021 begann, sind mehr als 240 Menschen - die allermeisten Palästinenser - getötet worden.
Einer der Funken, der den jüngsten Konflikt entzündete, ist das kleine Viertel Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem, wo israelische Siedler, palästinensische Familien vertreiben wollen.
Was in Sheikh Jarrah geschieht, wird von den Siedlern und ihren Anhängern als Streit um Eigentumsrechte bezeichnet. Aber die Proteste, die in dem Viertel begannen, haben in ganz Israel, im Westjordanland und im Gazastreifen für einen Aufschrei gesorgt.
"Wir sehen, dass dies kein kleines Problem ist", meint Aviv Tatarsky, ein Forscher bei Ir Amim, einer israelischen NGO, die sich auf den Konflikt in Jerusalem konzentriert.
Tatsächlich hat der Streit um Sheikh Jarrah - so sagt Aviv Tatarsky - "die Region völlig destabilisiert" und den bewaffneten Konflikt zwischen der Hamas in Gaza und Israel ausgelöst.
Wie hat also ein Streit über die Vertreibung von acht palästinensischen Familien aus einem kleinen Viertel zum jüngsten israelisch-palästinensischen Konflikt geführt?
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) erklärt, dass es sich bei den Menschen, denen die Räumung ihrer Häuser in Sheikh Jarrah droht, um palästinensische Flüchtlinge handelt, die dort seit den späten 1950er Jahren untergebracht sind.
Nach dem Verlust ihres Besitzes im Konflikt von 1948, der viele Palästinenser staatenlos machte, wurden diese Flüchtlinge mit Unterstützung der jordanischen Regierung und der UNRWA nach Sheikh Jarrah gebracht.
Palästinensische Flüchtlinge, die erneut vertrieben werden sollen
Die Gefahr der Vertreibung wurde für diese palästinensischen Familien wieder aktuell, als ein israelisches Gericht zugunsten einer Siedlerorganisation entschied, die das Eigentum an dem Land beansprucht.
Eine endgültige Entscheidung sollte am 10. Mai fallen, dem israelischen Jerusalem-Tag, der die Eroberung Jerusalems nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 markiert.
Wegen der Proteste und der zunehmenden Unruhen hatte der Oberste Gerichtshof jedoch die Entscheidung verschoben, und ein neuer Termin wurde noch nicht festgelegt.
"Was im letzten Monat passiert ist, ist ziemlich bemerkenswert", sagt Tatarsky gegenüber Euronews. "Wie ein Protest und Widerstand von der Basis es geschafft haben, die israelische Regierung zum Einlenken zu bewegen."
Neben den Protesten war Sheikh Jarrah auch immer wieder Schauplatz von Gewalt.
Die israelische Polizei sagte, ein palästinensischer Autofahrer habe einen israelischen Kontrollpunkt gerammt und dabei sechs Beamte verletzt, bevor der Angreifer erschossen wurde.
Die Unruhen dort, zusammen mit gewalttätigen Konfrontationen an der Al-Aqsa-Moschee in der Altstadt von Jerusalem, brachten die Spannungen in den Tagen vor dem 10. Mai auf den Siedepunkt.
Dann begannen die Raketen und Luftangriffe.
"Das Ungleichgewicht der Macht ist so groß, wie es nur sein kann".
Tatarsky erklärt, dass die palästinensischen Flüchtlinge gegenüber dem Besitzanspruch der Siedler auf die Gebäude israelischen Gesetzen zufolge nahezu machtlos sind.
Ähnliche Räumungsversuche gab es bereits 2009, was auch damals große Proteste auslöste und internationale Aufmerksamkeit auslöste. "Seitdem musste Israel aufhören, die Familien dort zu vertreiben", sagt der Beobachter.
Netanjahu und Trump stärken die jüdischen Siedler
Aber die Siedler und die israelische Regierung sind seitdem durch die Politik und die Erklärungen der jüngsten US-Präsidentschaft von Donald Trump ermutigt worden.
"Mit der Rückendeckung, die er der rechtsgerichteten Regierung gab, hat Israel viele Siedlerprojekte rund um die Altstadt und in Sheikh Jarrah wieder aufgenommen, die es vorher nicht durchführen konnte", sagt Tatarsky.
Was in Sheikh Jarrah passiert, ist nur ein Teil eines größeren Trends.
1.000 Palästinenser in Ostjerusalem von Zwangsräumungen bedroht
Laut UNRWA sind etwa 1.000 Palästinenserinnen und Palästinenser, fast die Hälfte davon Kinder, in ganz Ostjerusalem von Zwangsräumung bedroht.
Und das geschieht, so die UN-Organisation, "im Kontext des israelischen Siedlungsbaus und der Expansion, die nach internationalem humanitärem Recht illegal sind."
Tatarsky sagt, dass seine NGO von 200 palästinensischen Familien weiß, die mit Räumungsforderungen von Siedlerorganisationen konfrontiert sind.
"Und natürlich wurden in den vergangenen Jahrzehnten bereits Dutzende von Familien vertrieben", sagt er und weist darauf hin, dass die Räumungen weitreichende Schäden für die gesamte Nachbarschaft verursachen, nicht nur für die direkt betroffenen Familien.
"Das Machtungleichgewicht ist so groß, wie es nur sein kann", sagt er.
"Auf der einen Seite ist da der Staat Israel mit all seiner Macht, und auf der anderen Seite wissen die palästinensischen Bewohner, dass sie keinen Staat haben, dass niemand hinter ihnen steht, dass sie von vornherein arme Familien sind."
Da die Augen der Welt wieder auf den israelisch-palästinensischen Konflikt gerichtet sind, hofft Tatarsky, dass die internationale Gemeinschaft dieses Mal eine Haltung einnimmt, "nach einigen Jahren, in denen sie es vorgezogen hat, nicht viel zu tun."
Die Situation in Sheikh Jarrah hat nicht direkt mit dem Krieg in Gaza zu tun, "aber sie hat das verursacht, was jetzt in Gaza passiert, und das wird auch nach einem Waffenstillstand so bleiben", sagt er.
Obwohl noch nicht klar ist, wann der Oberste Gerichtshof eine Entscheidung treffen wird, hofft Tatarsky, dass die Proteste und die Empörung der internationalen Gemeinschaft die Zwangsräumungen in Sheikh Jarrah und anderswo zumindest noch einmal auf Eis legen.
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