Rede und Eid im Angesicht der Geschichte

Rede und Eid im Angesicht der Geschichte
​​​​​​​Möglicherweise war es selten von geringerer Bedeutung, was ein Präsident aus Anlass seiner Amtseinführung sagen würde, als heute. Wenn Joe Biden vor das Kapitol tritt, um seinen Amtseid zu leisten, vor einer leeren Mall, hinter Absperrgittern und schwer bewaffneten Nationalgardisten, vor sich einzig die Stuhlreihen mit den geladenen gewählten Volksvertretern, aber nicht das leibhaftige Volk, wird sich ein großer Teil der Aufmerksamkeit dort wie in den Medien auf den ungestörten Ablauf richten, darauf, wer gegen diesen Präsidenten und seine Vizepräsidentin protestiert und in welcher Form, in Washington D. C. und anderswo im Land. Darauf, ob alles friedlich bleibt. Darauf, wie viel Staatsmacht dazu erforderlich ist.

Möglicherweise aber kommt es gerade heute darauf an, was der schließlich vereidigte 46. Präsident der Vereinigten Staaten in dieser Situation zu sagen hat. Ohne Pomp, den Umständen geschuldet. Die Umstände bestehen nicht allein aus möglicherweise randalierenden Trump-Anhängern und wachsender Gewalt in einem immer schon auf Gewalt gründenden Land. Sie bestehen auch aus den neuesten Opferzahlen der Corona-Pandemie — mehr als 400.000 Amerikaner sind bisher gestorben, darunter überproportional viele Afroamerikaner –, der Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit und Armut und der Tatsache, dass knapp die Hälfte der Amerikaner diesen Präsidenten und seine Vizepräsidentin nicht im Amt sehen wollen. Wenn Biden all dies anspricht, wenn er es gut macht, sich Platituden verkneift — etwa die Beschwörung der obsolet gewordenen Mythologie von der Gleichheit aller, der Unerschütterlichkeit der demokratischen Institutionen und der Selbstheilungskräfte des Marktes — und wenn die Lage ruhig bleibt, wird es heißen, der Tag mit allem Drum und Dran einschließlich der Rede sei historisch gewesen. Wenn es anders läuft und Gewalt sich Bahn bricht, auch.

die Quellenschriften: ​faz.net​​​

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