Single im Corona-Jahr

Single im Corona-Jahr
Langsam drückt diese zweite Lockdown-Phase selbst den Robustesten aufs Gemüt. Vor allem um Singles machen sich Psychiater und Soziologen Gedanken. Dennoch ist es durchaus möglich, auch jetzt jemanden kennenzulernen.

Peter hat im Corona-Jahr seine große Liebe kennengelernt. Seit über zehn Jahren hatte er keine Frau mehr in sein Leben gelassen — und dann ausgerechnet in dem Jahr, in dem jeder persönliche Kontakt lebensbedrohlich hätte sein können? Was viele zuerst nicht nachvollziehbar fanden, ist eigentlich nur logisch — wer will schon alleine sein in diesen außergewöhnlichen Zeiten?

Bei Parship und Elite Partner glühen die Drähte seit Beginn der Corona-Pandemie noch heißer als zuvor, auf Tinder wurden mehr als doppelt so viele Nachrichten während des ersten Lockdowns verschickt: «Ich habe mich am Anfang des Jahres 2020, als von Corona in Europa noch keine Rede war, auf einem Partner-Portal angemeldet. Und dann war sie plötzlich da, nach ein paar Klicks», erzählt der Hamburger ntv.de am Telefon. Sie haben erst einmal nur geredet, natürlich. Aber das war Peter gerade recht — er hatte die Übung in Sachen Flirten verloren. Sich vorerst nur zu schreiben und später dann zu telefonieren, reichte ihm vollkommen fürs Erste. «Es machte die Sache ehrlich gesagt einfacher. Zunächst. Denn nach einer Weile fand ich Martina so nett, dass ich mich gefragt habe, was ich mittlerweile wohl tun würde, wenn sie meinen Ansprüchen im wahren Leben doch nicht gerecht werden kann. Was, wenn ich viel zu viel in sie hineininterpretiert habe?» Das allerdings ist ja kein reines Corona-Hindernis, diese Frage stellt sich jeder, der jemanden online kennenlernt.

Und tatsächlich — die Chemie stimmte nicht von Anfang an zwischen den beiden Singles Ende 40. War die Maske schuld daran? Wo man sich in der Realität doch sowieso schon kaum erkennt aufgrund eines meist extrem geschönten Fotos auf der Dating-App? Martina jedenfalls kam nach Hamburg, die beiden gingen an der Alster spazieren, mit Abstand und etwas befangen. «Dann sagte sie mir, dass sie einen Corona-Test gemacht hätte, bevor sie mich besuchen kam, und ich musste so lachen, denn dasselbe hatte ich auch getan.»

Als Peter Martina dann an die Hand nahm und sie tatsächlich kitschig in den Sonnenuntergang liefen, war da ein Kribbeln. An diesem Abend fuhr Martina wieder nach Hause in ihre Stadt nahe der holländischen Grenze, aber sie kam ein Wochenende später wieder. Inzwischen können die beiden sich alles miteinander vorstellen. «Ich war sehr gefangen in meinem Job und damit, meine Kinder allein großzuziehen, aber die Kinder sind aus dem Haus, der Job ist weg, 'dank' Corona, und ich wollte eh neu durchstarten», resümiert Peter. Sie lassen es noch immer langsam angehen, schon deshalb, weil sie in zwei Städten leben. Aber Peter ist nicht mehr gebunden an einen Ort und die Niederlande mag er auch. Vielleicht zieht er bald um, zu Martina an die holländische Grenze.

So etwas zu erleben ist also durchaus möglich — die Realität sieht aber leider anders aus: Viele Menschen beklagen, sich während der vergangenen Monate häufig einsam gefühlt zu haben, darunter mehr Frauen als Männer. Das zeigt eine repräsentative Umfrage der Online-Partnervermittlung Parship. Und doppelt so viele junge Menschen leiden unter Einsamkeit. Das ist recht logisch, denn den Jungen wurde innerhalb des letzten Jahres vieles genommen, was eigentlich gerade starten sollte: ein neuer Job, in die Welt hinausgehen, Menschen, auch einen Partner, kennenlernen — Dinge, die ältere Menschen oftmals bereits «erledigt» haben. Den Jüngere fehlt die Perspektive. Während Ältere sich auf Erlebtes und Erfahrungen berufen können, fragen die Jungen sich immer mehr: «Wann geht es endlich los?»

Alle elf Sekunden verliebt?

Vielen bleibt da nichts anderes übrig, als ihr Glück beim Online-Dating zu versuchen, auch wenn es nicht immer so geschmiert läuft wie in dem erwähnten Fall. Und auch, wenn sich auf einem der bekanntesten Portale angeblich «alle 11 Sekunden ein Single verliebt», bleibt die Voraussetzung für den Erfolg ja dennoch, dass sich das Objekt der Begierde dann ebenfalls «zurückverliebt». Vieles kann schieflaufen beim Verlieben, auch ohne Corona, und so mancher findet Online-Dating zu unpersönlich oder sieht darin gar eine Gefahr. Aber auf der anderen Seite kann Online-Dating eben auch dazu führen, dass man sich viel offener austauscht, zwangloser agiert und auch ehrlicher seine Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen formuliert. Dass man erst einmal sehr viel miteinander spricht und die Lage klärt. Intensive Gespräche waren und bleiben der Grundstein für die gemeinsame Basis, auf der man dann, wenn hoffentlich bald alles wieder «normaler» wird, aufbauen kann. Frau oder Mann können sich aber viel mehr darüber im Klaren sein, was überhaupt gesucht wird. Und auch, wie weit man — sowohl «in echt» als auch beim Online-Dating — gehen will.

Es wirkt momentan dennoch wie in einem Science-Fiction-Film — da hat man sich endlich durchgerungen, jemanden auf einer Dating-App kennenlernen zu wollen, und dann darf man nicht zueinander. Nach «gemeinsamen» Filmabenden und «Candle-Light-Dinner», jeder vor seinem Laptop, kommt aber unweigerlich die Phase, in der man sich nun wirklich und echt im wahren Leben beschnuppern will. Da helfen natürlich die üblichen AHA-Regeln und bevor man dann irgendwann doch miteinander im Bett landet, weiß man hoffentlich schon viel mehr über sein Gegenüber. Mehr als früher wahrscheinlich, wo man viel schneller miteinander intim geworden ist.

Was suche ich eigentlich?

Dating-Portale boomen momentan mehr als zuvor. Eigentlich logisch, denn wann, wenn nicht jetzt, ist einem vorher so glasklar aufgefallen, wie alleine man wirklich ist? Hilfreich ist es auf jeden Fall, wenn jeder, der auf einem Dating-Portal sucht oder gefunden werden will, genaue Angaben macht, was für ihn oder sie infage kommt: Sucht man die große Liebe? Sucht man nur jemanden zum Quatschen? Oder sucht man jemanden für Sex? Und wenn, welche Art von Sex?

Wem das alles zu unsicher ist, der kann ja immer noch Sex mit sich selbst haben. Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt ideal, um neues Sexspielzeug, erotische Filme oder Literatur auszuprobieren? Klingt nach einer Notlösung, schon klar, aber das alte Telefonverzeichnis abzutelefonieren ist meist noch frustrierender.

Achterbahn der Gefühle

Und wenn gar nichts geht? Keine Lust auf Tinder und Co, keine Lust, jetzt jemanden kennenzulernen? Aber auch keine Lust, ständig allein zu sein? Dann ist es doch gut, wenn man Freunde hat, oder? Geht so: Die Menschen hätten die Erfahrung gemacht, dass sich Freunde in ihre Schneckenhäuser zurückzögen, so wie es die Corona-Empfehlungen auch verlangten, weiß zumindest der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski, der für das Jahr 2021 eine Achterbahn der Gefühle prognostiziert. Mit dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos führte er Ende 2020 eine Studie durch, die klar herausstellte, dass zu den Verlierern der Corona-Krise vor allem Frauen, junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren sowie Bewohner des ländlichen Raumes zählten. Was also tun? Der Unterschied zwischen «allein sein» und «einsam sein» ist nach wie vor riesig, auch im noch jungen Jahr 2021.

Es gibt aber auch Singles, die gar nicht mal so unglücklich über ihren Status sind, können sie doch machen, was sie wollen. Denn das andere Extrem — Paar oder Familie hockt im Lockdown mehr oder wenig ständig zu Hause und aufeinander — kann ja ebenso nervtötend sein. Alle Aktivitäten, die ein Mann oder eine Frau als Teil eines Paares sonst allein gemacht hat — Sport, Treffen mit eigenen Freunden, Reisen, zur Arbeit gehen — fallen weg. Die Macken des anderen, ungeputzte Fenster und laute Homeoffice-Meetings am Familienlaptop zehren an den Nerven des/der anderen, das ewige Homecooking kann auch zu Diskussionen führen und das TV-Programm ließ schon vor Corona zu wünschen übrig.
Aber: Auch diese Zeit wird vorübergehen! Durchhalten ist das Motto! Etwas Neues lernen, die Zeit anders nutzen, weiter aufräumen und die zwanzigste Yoga-App herunterladen — dann wird auch dieses tiefe Tal durchschritten sein! Und dann darf man sich seinen Korb auch ganz normal wieder an der Bar oder in der Diskothek abholen. Merke: Früher war auch nicht alles besser.

Quelle: n-tv.de

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