In Deutschland ein Held, von den Russen verschmäht

In Deutschland ein Held, von den Russen verschmäht

Die Deutschen sind Gorbi bis heute dankbar, weil es ohne ihn keine Einheit gegeben hätte. Doch in seiner Heimat wird der ehemalige sowjetische Präsident verschmäht wie nur wenige andere. Wie kam es zu dem Absturz?
Meine Landsleute sagen gerne: "In Russland muss man lange leben, um Veränderungen zu sehen." Nicht jeder schafft das, ein langes Leben ist in Russland keine Selbstverständlichkeit, besonders für jemanden, der dieses große Land zu regieren hat.
Michail Gorbatschow hat es geschafft. Er kann als das langlebigste Oberhaupt Russlands ins Guinness Buch der Rekorde eingetragen werden. Er würde Alexander Kerenski ablösen, der als Chef der Übergangsregierung nach der Oktoberrevolution einige Monate lang die Geschicke Russlands leitete, sich später erfolgreich in den Westen absetzte und mit 89 Jahren in Amerika verstarb. In der Regel schaffen es die Führungskräfte in Russland nicht, in Rente zu gehen, sie sterben früher.

Sie werden im eigenen Land geehrt und im Ausland verschmäht. Michail Gorbatschow ist eine Ausnahme. Er hatte als Generalsekretär und erster Präsident der Sowjetunion Russland sehr schnell und unumkehrbar verändert und wurde im Westen viel beliebter als in seiner Heimat.

Viele meiner Landsleute geben ihm die Schuld an dem Zerfall des großen Imperiums, sein Konzept von "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" – einem Gesicht, das nach außen milde lächelt, nach innen aber weiter grimmig guckt – weckte falsche Hoffnungen, die in bitterer Enttäuschung mündeten. Vor allem seine naive, zu kurz gedachte und schlecht organisierte Anti-Alkohol-Kampagne hatte für Unmut gesorgt und das halbe Land auf die Palme beziehungsweise auf die Birke gebracht.

Er konnte lächeln und musste nicht vom Zettel ablesen

Gorbatschow kam 1985 an die Macht. Ich diente damals als Soldat des zweiten Verteidigungsrings der Moskauer Raketenabwehr. In der Armee bekamen wir von seiner Umbaupolitik, von Perestrojka und Glasnost, nichts zu spüren. Nur die erzwungene Nüchternheit der Offiziere und Fähnriche sorgte für miese Laune im Armeekollektiv.

Unser Raketenabwehrkomplex "Eichhörnchen", zum Abschießen von tieffliegenden Zielen gedacht, in erster Linie von schweren amerikanischen Bombern des Typus B52, war mitschuldig an der Landung von Mathias Rust auf dem Roten Platz gewesen, weil diensthabende Offiziere gerade im naheliegenden Dorf statt mit dem Blick auf die Radare damit beschäftigt waren, die alkoholische Versorgungslücke zu schließen. Man könnte sagen: Dank Gorbatschow konnte Mathias uns damals entkommen.

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