Neuer Infektionsschutz auf Agenda: Vergleich mit Ermächtigungsgesetz 1933 schlägt ein wie eine Bombe

Neuer Infektionsschutz auf Agenda: Vergleich mit Ermächtigungsgesetz 1933 schlägt ein wie eine Bombe

Auf Twitter fliegen seit Dienstagabend die Fetzen: Das neue Infektionsschutzgesetz, über das Bundestag und Bundesrat am heutigen Mittwoch abstimmen sollen, stößt einerseits auf Widerstand und wird andererseits heftig in Schutz genommen. Die Vergleiche fallen schwer, die polizeilich untersagten Demos am Reichstag finden statt – wohin führt das?
Um das neue Gesetz schnell wirken zu lassen, kommt sogar der Bundesrat zu einer Sondersitzung zusammen. Die Änderung zielt vor allem darauf ab, die bislang von der Bundesregierung verordneten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gesetzlich zu untermauern. Gegen 12 Uhr berät der Bundestag in zweiter und dritter Lesung über den Entwurf der GroKo und stimmt anschließend ab. Ab 15 Uhr greift der Bundesrat ein. Fertigt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz noch am selben Tag aus, kann es gleich in Kraft treten.
Das aktuell geltende Infektionsschutzgesetz war seit Beginn der Corona-Krise schon mehrfach reformiert worden. Im Frühjahr wurde eingeführt, dass der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen kann – und er tat es umgehend. Das Bundesgesundheitsministerium durfte durch Sonderbefugnisse Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen. 
Mit der Gesetzesnovelle wird nun unter anderem ein neuer Paragraf 28a in das Gesetz eingefügt. Er listet die Schutzmaßnahmen auf, die Landesregierungen und zuständige Behörden zum Eindämmen der Pandemie verordnen werden können, darunter Abstandsgebote, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum, das Beschränken oder Untersagen von Übernachtungsangeboten, Reisen, Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen, das Schließen von Geschäften oder das Anordnen einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Vorgeschrieben wird unter anderem, dass solche Rechtsverordnungen zeitlich zu befristen sind. Ihre Geltungsdauer soll grundsätzlich vier Wochen betragen, kann aber verlängert werden. Vorgesehen sind unter anderem neue Regeln bei Verdienstausfällen. 

Handlungsspielraum zu groß?

Kritisiert wurden die neuen Regelungen bisher als verfassungsrechtlich fragwürdig, auch wegen der geringen Beteiligungsrechte der Parlamente. Die Linke-Chefin Katja Kipping merkte am Dienstag an, dass der Gesetzentwurf der Regierung die Konzentration der Entscheidungsmacht im Hause von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fortschreibe. Die Linke will dem Entwurf laut Fraktionschef Dietmar Bartsch nicht zustimmen – wie auch die FDP. Der Handlungsspielraum der Regierung beim Eingriff in Grundrechte sei unverändert zu groß, kommentierte Fraktionschef Christian Lindner. Es sei nicht klar definiert, welche Freiheitseinschränkungen in welcher Lage angemessen seien.
Im Netz wird die heftige Diskussion um das Gesetz mit einem Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 angeheizt, in dem Sinne: Die Demokratie wird damit außer Kraft gesetzt und der Weg in die Diktatur eingeschlagen. Viele Abgeordnete gaben in den vergangenen Tagen an, von einer Flut von kritischen Spam-E-Mails mit diesem Vergleich überschwemmt und aufgefordert zu werden, das neue Gesetz zu verhindern. Viele Politiker und Prominente gehen gegen den fragwürdigen Vergleich vor. 
Unter anderem schrieb Außenminister Heiko Maas auf Twitter, wer so infame Vergleiche anstelle, verhöhne die Opfer des Nationalsozialismus und zeige, dass er aus der Geschichte nichts lerne.
Auf Facebook legte er am Mittwoch noch ausführlicher nach.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bezeichnete diese Menschen seinerseits als „geschichtsvergessen und zynisch“. Mit dem Gesetz wolle man die Vorkehrungen auf eine sichere demokratische Basis stellen, um das Leben Tausender Menschen zu schützen.
„Ermächtigungsgesetz? Leute, das ist nicht euer Ernst!“, meldete sich der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil zurück. Parallel gaben FDP-Politiker wie Christian Dürr an, gegen das Gesetz abstimmen zu wollen, weil es der Regierung zu viel Spielraum gebe, und nicht, weil es angeblich Deutschland in eine Diktatur bringe.
Der Publizist Dushan Wegner schloss sich der Diskussion an und stellte die Frage anders. „Im Namen von Corona entmachtet das Parlament sich selbst. Wenn das Wort Ermächtigungsgesetz nicht genehm ist, wäre Parlaments-Entmachtungsgesetz den feinen Herrschaften lieber?“, so Wegner.Weitere Politiker haben sich ebenfalls gegen das Gesetz geäussert. Der Bundestag dürfe das Heft des Handelns nicht auf die Bundesregierung übertragen, schriebe etwa Gregor Gysi (Linke). „Wir brauchen endlich eine langfristige Strategie und nicht ständig neue verfassungsrechtlich bedenkliche Regelungen. Von uns wird daher ein eigener verbesserter Vorschlag kommen“, forderte der FDP-Mann Stefan Thomae ebenfalls auf Twitter. Bei den Grünen hingegen, so heißt es in der Fraktion, wolle „die übergroße Mehrheit“ zustimmen. 
Parallel finden in Berlin während der Beratungen von Bundestag und Bundesrat mehrere Proteste gegen die staatliche Corona-Politik statt, unter anderem gegen das Infektionsschutzgesetz. In unmittelbarer Umgebung des Sitzes der beiden Verfassungsorgane hat das Bundesinnenministerium zwölf Demonstrationen nicht genehmigt. Nach Angaben der Polizei versammelten sich die Protestler jedoch rund um das abgesperrte Reichstagsgebäude und auf dem Platz der Republik davor. 





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