Das ursprüngliche Demo-Verbot für Justizministerin „nachvollziehbar“
Diese „Mehrheit“ der Demonstranten repräsentiere allerdings eine kleine Minderheit der deutschen Gesamtbevölkerung, welche die Anti-Corona-Maßnahmen unterstütze bzw. sogar zu schwach finde, behauptete die Ministerin. Den ursprünglichen Versuch von Berlins Innensenator Geisel, die Demonstration zu verbieten, bewertete Lambrecht als „zumindest nachvollziehbar“ (ein paar Tage zuvor, noch vor dem Gerichtsbeschluss, mit dem das Verbot gekippt wurde, hatte sie das Verbot immerhin als „richtig“ bewertet).„Wir sind aber eine lebendige Demokratie“, meinte die Justizministerin zur Aufhebung des Demonstrationsverbots. Offen blieb insofern, ob sie den Gerichtsbeschluss genauso als richtig bewertet wie zuvor Geisels Verbotsbeschluss. Oder war in der Logik von Frau Lambrecht etwa „beides richtig“?
„Berlin hat reagiert“
„Die Bilder, die um die Welt gegangen sind, sind verheerend“, regte sich die Bundesministerin über die Erlebnisse vom Sonntag auf. „Hier wurde versucht, zu suggerieren, man könne diese Demokratie aus den Angeln heben.“ Nun müsse der Staat reagieren. Aber wie? Die Antwort der Ministerin darauf beeindruckte durch ihre Banalität – da muss man wirklich kein Regierungsmitglied sein, um die Antwort in dieser belanglosen Form zu formulieren: „Es muss darauf geachtet werden, wo Demonstrationen stattfinden werden und welche Voraussetzungen vorher zu treffen sind.“ Das war aber noch nicht die Spitze der Weisheit. „Berlin hat reagiert“, berichtete Christine Lambrecht stolz. „In Zukunft werden Demonstrationen nur mit Mund- und Nasenschutz zugelassen.“ Die Moderatorin musste darauf in ihrer süffisant-ironischen Manier präzisieren:„Das Demonstrations- und Versammlungsrecht ist ein ganz wesentliches Recht in unserer Demokratie und nicht an der Gesinnung ausgerichtet“, lautete die Antwort der Ministerin. Das logische Fazit: Sobald die Reichsbürger genügend Masken vorrätig haben, können sie einen neuen Reichstagssturm versuchen, oder?„In Zukunft dürfen also die ‚Reichsbürger‘ mit Mund- und Nasenschutz direkt vor dem Reichstag demonstrieren?“
Seite an Seite mit NPD und „Reichsbürgern“
„Der Sturm auf den Reichstag war das auf keinen Fall“, meinte Claudia Kade, Leiterin des „Welt“-Politikressorts. „Der Reichstag ist bewusst nicht besonders stark geschützt, allein deshalb war es kein ‚Sturm‘.“ Als „Sturm“ sollte man diese Aktion allein schon deshalb nicht bezeichnen, „weil die Täter selber das so hochjazzen“: „Wir standen ja nicht kurz vor dem Moment, dass das Parlament entrechtet worden wäre.“Problematisch fand die Journalistin allerdings, dass die große Masse der „friedlichen Demonstranten“, die sich aus ihren persönlichen Beweggründen der Aktion angeschlossen haben, kein Problem daran sahen, mit NPD-Funktionären und „Reichsbürgern“ Seite an Seite zu laufen. „Was heißt denn das? Ist das völlig egal? Gibt es da keine Berührungsängste mehr?“ Als Leiterin des Politikressorts einer Tageszeitung, die zu den einflussreichsten „Leitmedien“ gezählt wird, finde sie dieses Phänomen „politisch schwer zu verarbeiten“.
Immerhin gab Christine Lambrecht – wie zuvor auch der Gesundheitsminister Jens Spahn – am Mittwochabend zu, dass der Staat im Zuge der Pandemie-Bekämpfung bei manchen Sachen überreagiert hatte: „Man hätte manche Veranstaltungen zulassen und die Geschäfte offen lassen können“, so die Justizministerin.Ein Schluss, den „Die Welt“ und die anderen deutschen Mainstream-Medien aus den beiden bisherigen Anti-Corona-Großdemonstrationen bei der „Verarbeitung“ dieses Phänomens ziehen sollten, dürfte darin bestehen, dass sie bei der Berichterstattung über eventuelle weitere Demos dieser Art deren Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht mehr pauschal als „Corona-Leugner“ und „Rechtsextreme“ abstempeln dürfen.
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