„Ursprünglich haben diese Sanktionen für Unternehmen gegolten, die Rohre verlegen“, merkt Mitrachowitsch an. „Deshalb musste die schweizerische 'Allseas' aus dem Projekt aussteigen. Nun sollen die Sanktionen auf Schiffe mit anderen Funktionen ausgedehnt werden, darunter auch auf solche, die den Meeresgrund für die Verlegung der Rohre vorbereiten, sowie auf die Versicherungsbewertung, das Testen und die Zertifizierung der Gasleitung. Gerade dieser Punkt gilt als besonders empfindlich, denn ohne den abschließenden Konformitätsnachweis (dass Nord Stream 2 den lokalen Vorschriften entspricht) darf man die Pipeline nicht in Betrieb setzen.“
Da Deutschland an ihrem Fertigbau interessiert sei, werde es die Sanktionen hart kontern müssen, betont der Leiter der Stiftung für nationale Energiesicherheit, Konstantin Simonow: „Es geht darum, ob Deutschland zu selbständigen Beschlüssen im Bereich Energiesicherheit fähig ist und von allein festlegen kann, wo es sich das Gas am billigsten bzw. am vorteilhaftesten holt. Trump sieht die Sache anders: „Ich gebe euch politische Deckung, dafür seid ihr verpflichtet, mir Gas abzunehmen. Egal, wie hoch der Preis ist.“
Der Experte weist darauf hin, dass dieses Projekt in Europa unterschiedlich bewertet wird. „Die herkömmlich Washington-treuen Länder wie Polen oder die baltischen Staaten kämpfen an vorderster Front gegen das Projekt. Andere versuchen eine flexiblere Politik zu betreiben. Auch Brüssel selbst als das Zentrum der Eurokratie rezitiert schon seit langem die Mantra über die Diversifizierung von Gaslieferungen. Es begegnet den russischen Projekten ebenfalls mit einiger Zurückhaltung.“
Nicht zufällig hat der russische Energieminister Alexander Nowak erklärt, das Projekt sei hinsichtlich der Investitionen und der Wirtschaft abgeschlossen. Es bliebe nur übrig, seine materielle Umsetzung zu Ende zu führen, was auch erfolgen werde. Keine Sanktionen würden dies verhindern können. „Bei Nord Stream 2 handelt es sich um eine politische Konfrontation“, meint der Kolumnist des Moskauer Senders „Kommersant FM“, Dmitri Drisé. „Man sieht, dass es Angela Merkel mit jedem Tag immer schwerer fällt, das Projekt zu schützen. Unterdessen haben sich auch im Bundestag seine Gegner gemeldet. Im Endeffekt kann der wirtschaftliche Nutzen gleich Null sein. Dann zahlen sich die Investitionen nicht aus.“„Aber Trumps Erklärung, er beabsichtige, die amerikanischen Truppen aus Deutschland abzuziehen, hat selbst diejenigen alarmiert“, so der russische Energiesicherheitsexperte, „die immer dafür plädiert hatten, den USA trotz allem Gehör zu geben, da diese ein Partner sind, für unsere Sicherheit sorgen, bei uns ihre Truppen halten. Merkels grundsätzliche Haltung ist dagegen anders: das Projekt Nord Stream 2 unbedingt zu Ende zu führen. Dies ist auch für Russland zentral. Da ist kein Mittelweg denkbar, entweder wird die Pipeline fertig gebaut oder nicht.“
„Sanktionen werden beispielsweise gegen Verlegeschiffe, Lieferanten von Ausrüstung, Dienstleistungen und Technologie verhängt", fährt Drisé fort. „Wie man so sagt: unangenehm, aber nicht tödlich. Russland würde alles allein zustande bringen müssen, ohne ausländische Auftragnehmer. Es würde mehr kosten, fertigungstechnisch komplizierter sein, man würde möglicherweise auch den Zeitplan revidieren müssen. Die Pipeline wird trotzdem verlegt. In den Sanktionspapieren gibt es aber einen durchaus unangenehmen Punkt, und zwar Restriktionen gegen diejenigen, die die Gasfernleitung testen, inspizieren und zertifizieren werden. Ohne das lässt sich keine Anlage in Dienst stellen.“
Letzte Freundschaftsbrücke zwischen Russland und dem Westen?
Laut Drisé braucht Deutschland jedoch das preiswerte russische Gas ungeachtet der Position seines Freundeslandes Ukraine. „Sonst würde dies die Interessen des deutschen Kapitals sehr stark beeinträchtigen. Das ist viel wichtiger, und die Bundeskanzlerin kann es nicht ignorieren. Merkel ist bald weg, und man weiß nicht, was danach kommt. Es könnte durchaus sein, dass Nord Stream 2 die letzte Brücke der Freundschaft zwischen Russland und dem Westen bleibt.“Nicht von ungefähr hat Klaus Ernst, der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages und Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE, heute die Bundesregierung aufgefordert, sich den neuen Sanktionsdrohungen der USA mit Gegenmaßnahmen zu widersetzen. Jetzt drohen die amerikanischen Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson den Betreibern des Hafens von Sassnitz, die Waren, Dienstleistungen und Unterstützung für das Nord Stream 2 Projekt bereitstellen, mit dem finanziellen Ruin ihres Unternehmens.
Das sei eine direkte Drohung gegen die Stadt Sassnitz und das Land Mecklenburg-Vorpommern, da der Fährhafen zu 90 Prozent der Stadt Sassnitz und zu zehn Prozent dem Land Mecklenburg-Vorpommern gehöre, so der MdB Ernst.
Jedoch würde Berlin schwerlich ein koordiniertes Vorgehen der EU gegen die USA erreichen können, weil ein Land wie Polen dies torpedieren würde, ist sich der russische Experte Drisé sicher. „Es wünscht sich Amerikas Führung in Europa und will sich der deutschen Führung nicht fügen. Allerdings kann Deutschland die Zölle auch auf andere amerikanische Erzeugnisse erhöhen sowie große amerikanische Unternehmen wie etwa Amazon unter Druck setzen, damit diese mehr Steuern an Deutschland zahlen.“ Dabei erinnert er an das Abwehrgesetz der 90er Jahre zum Schutz deutscher Unternehmen gegen extraterritoriale US-Sanktionen gegen den Iran, das ihnen verbot, sich dem amerikanischen Diktat und den amerikanischen Sanktionen zu beugen.„Dass nun direkt ein Bundesland oder eine Stadt mit Sanktionen der USA bedroht werden, ist unerträglich. Ich fordere die Bundesregierung auf, den amerikanischen Botschafter einzubestellen. Darüber hinaus müssen endlich (…) wirksame Gegenmaßnahmen (…) durchgeführt werden, wie zum Beispiel Strafzölle gegen amerikanisches LNG-Gas. Der Rubikon ist deutlich überschritten.“
Inzwischen trat eine dänische Genehmigung für den Einsatz russischer Verlegeschiffe mit Anker nach Auslaufen einer Einspruchsfrist am Montag in Kraft. Damit kann ein Schiff wie die „Akademik Chersky“ die Arbeiten zur Fertigstellung des Projekts Nord Stream 2 starten. Fragt sich nur, wer seinen Betrieb im dänischen Gewässer versichern soll. Bis vor kurzem haben sich keine Versicherungsfirmen dazu bereit erklärt.
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