Corona-Krise und Gerangel um Einschaltquoten
Sind die Talkshows nur ein „schlechter Ersatz“? Übertreiben die auflagenstärksten Printmedien vielleicht doch ein bisschen, wenn sie schon am frühen Morgen nach den Spätabendshows recht ausführliche Berichte zu ihrem TV-Erlebnis vom Vorabend auf ihren Webseiten bringen? Und wie repräsentativ waren diese Diskussionsrunden – speziell „in Krisenzeiten?“Fakt ist: Die Einschaltquoten der Talks schnellten „Corona-bedingt“ seit Mitte März unaufhaltsam in die Höhe. Mehr noch – bei der fieberhaften Jagd nach den besagten Quoten kam es anfangs zu einer nahezu skandalösen Programm-Kollision: Das ZDF baute im März hastig ein „Maybrit Illner Corona spezial“ im Anschluss an das „Heute-Journal“ ins Programm hinein, weswegen es teilweise zu einer Überschneidung mit dem traditionell am Sonntagabend ausgestrahlten ARD-Talk „Anne Will“ kam. Und das nicht bloß einmal, sondern drei Wochenenden hintereinander und ohne Absprache mit der ARD, sondern, wie es in einem ZDF-Statement hieß, „aus der Erkenntnis heraus, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer in diesen Krisenzeiten ein erhöhtes Bedürfnis nach einordnenden Informationen und kompetenten Erörterungen der vielen Fragen haben, die sich aus der Corona-Krise ergeben“.
„In Deutschland wird Politik von Virologen gemacht“
Die Sessel für die Gäste im Studio wurden im Sinne von „Abstandhalten“ weiter auseinander geschoben, das Publikum wurde eliminiert.Stilmäßig hat es sonst kaum etwas geändert: Anne Will, stets im elegantesten Outfit, wirkte genauso wie früher souverän, mitunter leicht ironisch und fast arrogant, Sandra Maischberger betont frech und manchmal zu hektisch, Maybrit Illner zeigte sich routiniert, wirkte am zugänglichsten und leistete sich häufiger als die beiden anderen ein Versprechen.Mehr als zwei Monate lang drehte sich bei all den Talks alles ausschließlich nur um Corona – erst am 25. Mai haben Anne Will und ihre Gäste dieses Wort kein einziges Mal in den Mund genommen. Logischerweise lernte Deutschland in dieser Zeit seine Top-Virologen und -Epidemiologen kennen – allerdings nur eine Handvoll, von denen die meisten von Sendung zu Sendung herumwanderten: Alexander Kekule, Melanie Brinkmann, Hendrick Streeck, Christian Drosten, Jonas Schmidt-Chanasit… Und das war eben schon ziemlich alles, was die deutsche Wissenschaft bzw. die Öffentlich-Rechtlichen den Bürgern und Bürgerinnen zu bieten hatten. Dabei waren sich selbst diese wenigen Experten in den wichtigsten Fragen – Schulschließung, Lockdown, Maskenpflicht, Altenheime, Reisen – sehr oft gar nicht einig.
In dieser Zeit hat jemand den Spruch in Umlauf gesetzt: „In Deutschland wird Politik von Virologen gemacht.“ Einerseits zeugt das sehr wohl von der Tragweite des bei ARD und ZDF gesprochenen Wortes, andererseits gestaltete sich die Corona-Politik in Deutschland angesichts der Meinungsverschiedenheiten im Expertenkreis mitunter dementsprechend diffus. Ein Paradebeispiel dafür war die Monate lange Debatte um die Nützlichkeit von Schutzmasken.
Am häufigsten war aber Karl Lauterbach – SPD-Politiker und Epidemiologe in einer Person – auf allen Bildschirmen präsent. Hätte er das all die Wochen und Monate auf Honorarbasis getan, wäre er dank Corona viel wohlhabender geworden. Dabei fiel er kein einziges Mal aus seiner Rolle und wiederholte Woche für Woche die gleiche Leier: „Ich ahne Schlimmes“, „Vorsicht ist geboten“, „Die Lockerungen kommen viel zu früh“ etc.
Talkshows als Elite-Clubs
Eins muss man den Corona-Talks bei ARD und ZDF zugutehalten: In jeder Sendung hatten sie neben den Virologen stets auch ein-zwei ganz große Tiere dabei: Minister, Fraktionsvorsitzende, Parteichefs, Ministerpräsidenten einzelner Bundesländer, namhafte Journalisten und Autoren – wenn nicht live, dann zumindest zugeschaltet. Einen Bundeskanzler gab es einmal auch – allerdings einen österreichischen (bei „Maischberger“). Schnell genug zeichnete sich aber das angeborene Gebrechen des TV-Genres Talkshow ab: Die Gesprächsrunden waren ausgesprochene „Elite-Clubs“, in denen ganze Bevölkerungsgruppen in dramatischer Weise unterrepräsentiert waren. Zu wenig Frauen, zu wenig junge Leute, weniger Ossis als Wessis, so gut wie keine Migranten – das Magazin „Der Spiegel“ hatte 70 Talks in den ersten fünf Monaten des Jahres (also zum Teil auch vor Corona) penibel analysiert, um zu diesem bedauerlichen Schluss zu kommen.Zu einem richtig peinlichen Eklat bei der Zusammensetzung der Studiogäste kam es Anfang Juni bei „Maischberger“: Laut der im Netz veröffentlichten Annonce der Sendung, die dem Rassismus in den USA galt, waren fünf Studiogäste eingeladen worden – alles Weiße.Erst als Reaktion auf die dadurch ausgelöste Empörungswelle im Internet musste auf die Schnelle eine Afroamerikanerin organisiert werden.
„Goldene Kartoffel“ und „Schlipsnazis“
Im Herbst 2019 hatte der Verein Die Neuen deutschen Medienmacher*innen den politischen Talkshows „hart aber fair“, „Anne Will“, „Maischberger“ und „Maybrit Illner“ den Negativ-Medienpreis „Goldene Kartoffel“ zugesprochen. Nach Ansicht der Jury hätten alle vier „ein verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland“ geliefert und „zur Verfestigung der Vorurteile“ beigetragen. In den damaligen „seligen“ Vor-Corona-Zeiten war bekanntlich die Migrationskrise das Top-Thema. Auch damals schon sei die Gästeauswahl häufig diskriminierend gewesen: „Besonders auffällig ist die ständige Abwesenheit von Schwarzen Menschen und People of Color“, hieß es in der Begründung der Jury.Ein weiterer Vorwurf an die Talks lautete: zu viele AfD-Politiker in den Sendungen. „Talkshows sollen Debatten für uns alle sein – und keine Gesprächstherapie für Schlipsnazis“, erklärte Jury-Chefin Sheila Mysorekar in ihrem Laudatio. „Rechtsaußen-Provokateure sitzen seit Jahren in den Talkshows rum und beklagen sich gleichzeitig, dass ihnen der Mund verboten würde. Wohlgemerkt: Sie sagen das in die Kamera zur besten Sendezeit.“
Nun ja, das Letztere dürfte nicht ein Problem von „Anne Will“ oder „Maybrit Illner“ sein, sondern es geht ums Prinzip: Wenn Vertretern der größten Oppositionsfraktion im Bundestag im Fernsehen der Mund verboten wird – besonders beim Thema Migration, wo die Meinungen besonders weit auseinander gehen – wie soll das mit den demokratischen Grundprinzipien der Meinungs- und Pressefreiheit zusammen passen?Der Fakt ist allerdings, dass spätestens seit Beginn der Corona-Krise niemand von der AfD zu den Talks eingeladen wurde – die einzige Ausnahme: Ein Interview mit Jörg Meuthen bei „Maischberger“, in dem es aber ausschließlich um den „Rauswurf“ des brandenburgischen AfD-Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz ging.
Polit-Talks als „Influencer“ und „mediale Grundversorgung“
Um das nun modische Wort „Influencer“ zu gebrauchen: Als solche funktionieren die ARD- und ZDF-Talks sehr wohl. Mit seinen nicht gerade glücklichen Auftritten bei diesen hat sich etwa der Möchte-Gern-Kanzlerkandidat Armin Laschet mittlerweile weitgehend „entkanzlert“ (die Wortbildung stammt ebenfalls von einer Talk-Teilnehmerin).Und die „hart aber fair“-Sendung zum Corona-GAU in Gütersloh hat die anscheinend unvermeidliche moralische Demontage des Fleisch-Unternehmers Clemens Tönnies definitiv ins Rollen gebracht.
Abschließend zurück zu der Frage „Sind die Polit-Talks nur ein schlechter Ersatz für fundierte Auseinandersetzungen“? Naja, da die Sendungen nur 60 Minuten laufen, sind sie a priori zur gewissen Oberflächlichkeit verdammt, besonders wenn sie wie bei „Maischberger“ oder „Markus Lanz“ innerhalb der streng bemessenen Zeit gleich mehrere Themen abhaken möchten. „Fundierte Auseinandersetzungen“ kann es auch kaum geben, wenn gleichzeitig vier-fünf Newsmaker im Studio sitzen und einander immer wieder ins Wort fallen, um in der kurzen Zeit noch halbwegs zur Geltung zu kommen.
Das Wichtigste aber: Solange es bei den Polit-Talks um Produkte des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks geht, die dazu noch auf hohe Einschaltquoten getrimmt sind, kann man von diesen kaum etwas anderes erwarten, als diese schon liefern. Sie gehören eben „zur medialen Grundversorgung,
die der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk zu liefern hat“. Und man kann sich schon vorstellen, dass so manche von den Millionen Zuschauer*innen, die diese Grundversorgung im Sommer kurz vermissen, unter gewissen Entzugsentscheidungen leiden müssen. Für alle anderen gibt es Internet.
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