„Dramatischer Stimmungsumschwung“ in Italien: Europapolitiker warnt vor Propagandakrieg mit Moskau
In Italien kam die russische Hilfe in der Corona-Krise laut Meinungsumfragen gut an. In deutschen Medien wird diese Hilfe hingegen kritisiert. Von EU und Nato werden gleichzeitig Desinformationsvorwürfe gegenüber Moskau laut. MdB Andrej Hunko (Die Linke) sieht dahinter einen Propagandakrieg und warnt vor einem EU-Austritt Italiens.
Die Hilfen aus Russland und China für das von Covid-19 geplagte Italien kommen dort offenbar gut an. Eine Meinungsumfrage des italienischen Instituts „SWG“ hat die Einstellung der Italiener zu verschiedenen Ländern vom 20. März bis zum 12. April untersucht. Demnach betrachten 52 Prozent der Befragten China als „befreundetes Land“. Das entspricht einem Anstieg um 40 Prozentpunkte (von 12 Prozent noch vor einem Jahr). Russland folgt mit 32 Prozent (ein Plus von 17 Prozentpunkten) und die USA mit immer noch 17 Prozent (minus 12 Prozentpunkte).
Zu einer anderen Einschätzung kommen einige Medienberichte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die Russland „Kalkül“ und eine „Inszenierung der Extraklasse“ vorwerfen, wie in einem Bericht der „Tagesschau“. „Wie Russland versucht, mit Corona die EU zu spalten“ lautet auch die Überschrift eines Beitrages der Sendung „Kontraste“ beim „RBB“. Darin wird auch der Nutzen russischer Hilfe angezweifelt.
„Dramatischer Stimmungsumschwung“
Hinter solchen Berichten vermutet der Europapolitiker und Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Andrej Hunko eine „Kampagne der Medien und auch führender Repräsentanten der EU“. In der Stunde der größten Not Italiens - Ende Februar, Anfang März – haben China, Russland, aber auch Kuba eine massive Hilfe geleistet, erklärt Hunko. „Während in dieser Zeit zumindest die EU- und Nato-Partner keine Hilfe geliefert haben - beziehungsweise sogar wie Deutschland die Grenzen für Schutzausrüstung geschlossen hatten. Das hat in Italien zu einem dramatischen Stimmungsumschwung geführt. Mittlerweile ist China das beliebteste Land, Russland das zweitbeliebteste Land.“ Länder wie Deutschland seien gleichzeitig unbeliebter geworden, bemerkt der Abgeordnete.
Anfang März hatte die Bundesregierung ein Exportverbot mit wenigen Ausnahmen erlassen, um Schutzausrüstung für den deutschen Bedarf zu sichern. In Italien und anderen EU-Staaten stieß das auf heftige Kritik. Nach zwei Wochen wurde das Verbot allerdings wieder aufgehoben.
Trotzdem rutscht Deutschland in der „SWG“-Studie an die Spitze der „feindlichen Länder“: So nehmen ganze 45 Prozent der Befragten die Bundesrepublik als Feind wahr. Es folgen Frankreich mit 37, Großbritannien mit 17 und die USA mit 16 Prozent.
„Man versucht gerade durch eine Kampagne dem entgegenzuwirken, das alles als russische oder chinesische Desinformation darzustellen und einen Kampf der Narrative, wie das EU-Außenbeauftragter Josep Borell genannt hat, auszurufen. Und in der Tat sehen wir jetzt von allen führenden Repräsentanten, von Nato und EU, auch in den entsprechenden Medien ähnliche Meldungen“, sagt Hunko im Sputnik-Interview.
So hat auch kürzlich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Russland und China für die Verbreitung von Falschnachrichten in der Corona-Krise verantwortlich gemacht. Beide Länder versuchten den Zusammenhalt des Bündnisses zu untergraben und die Nato falsch darzustellen, sagte der Norweger am Montag der Deutschen Presse-Agentur (DPA).
Seit Beginn der Pandemie hat Stoltenberg mehrfach vor Desinformationskampagnen aus dem Ausland gewarnt. Dabei sprach er jedoch meist von „staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren“ - ohne sie zu benennen.
Fehlende EU-Strategie
Der CDU-Politiker Friedrich Merz, einer der Bewerber um den CDU-Vorsitz und damit ein möglicher Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat sich in einer Videokonferenz mit Vertretern ausländischer Medien kritisch über die Rolle der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber Russland und China geäußert. Er sagte: „Ich sehe es schon mit einiger Besorgnis, dass Länder wie Italien, aber auch andere, mit großer Dankbarkeit Hilfsleistungen aus Russland und China entgegennehmen. Und wir haben in Europa zurzeit weder eine China- noch eine gemeinsame Russland-Strategie. Die werden wir aber dringend brauchen, wenn wir nach der Krise auf der politischen Bühne dieser Welt noch eine Rolle spielen wollen“.
Auch Hunko vermisst eine EU-Strategie: „Eine gemeinsame Strategie in solcher Situation, zu helfen. Das Problem war doch, dass Italien Ende Februar den sogenannten Zivilschutzmechanismus der EU angerufen hat, der dafür geschaffen wurde, in einer Notsituation anderen Ländern der EU zu helfen, wo beispielsweise Kosten für den Transport von der EU-Kommission übernommen werden. Italien hat diesen Mechanismus angerufen, hat aber keine Antwort gekriegt - niemand aus der EU hat reagiert. Dann kamen eben die massiven Hilfen aus China, Russland und Cuba. Das hat sich tief in dem Bewusstsein der Menschen dort eingebrannt.“
Das „Dagegenhalten mit einer Propagandaoffensive“ sei ein „völlig falscher Ansatz“, bemängelt der Linke-Politiker. „Man muss doch schauen, dass man dann entsprechend so etwas wie den Zivilschutzmechanismus ausbaut, dass es das nächste Mal besser funktioniert. Und nicht in so einen Propagandakrieg einsteigt gegen Russland oder China.“
„Im Stich gelassen“
Bundesaußenminister Heiko Maas verteidigte hingegen nationale Alleingänge in der Europäischen Union zu Beginn der Corona-Krise. „Ich halte es für richtig, dass jedes Land zuerst nationale Maßnahmen ergriffen hat“, sagte der SPD-Politiker dem „Spiegel“. Das sei wie im Flugzeug:
„Jeder sollte sich im Notfall erst seine Maske aufsetzen, bevor er anderen hilft. Wenn wir unsere nationalen Hausaufgaben nicht gemacht hätten, hätten wir auch niemanden außerhalb unseres Landes unterstützen können.“
Die Reihenfolge sei richtig gewesen. Maas betonte, dass Deutschland inzwischen sieben Tonnen Hilfsgüter an Italien geliefert habe und zahlreiche italienische Covid-19-Patienten in deutschen Krankenhäusern behandelt worden seien. Damit habe man ein klares Signal gesetzt: „Wir stehen an der Seite Italiens.“
Als „verheerend“ bezeichnet Hunko eine derartige Strategie. Zwar sei es nachvollziehbar, dass ein jeder Flugzeugpassagier sich in einer Paniksituation zuerst die Maske aufsetzen sollte, bevor er anderen helfe. Doch einen Vergleich mit der Reaktion der Bundesregierung kann er nicht erkennen. „Eine Regierung muss doch Vorsorge treffen. Man kann doch nicht in solch einer Situation so panisch reagieren, wo ja dann auch die Situation in Deutschland akut noch gar nicht so dramatisch war – aber dafür in Italien. Und dann so unsolidarisch darauf reagieren“, wundert sich der Europapolitiker. Das sei ab Mitte März ein Stückweit korrigiert worden. „Aber in der Stunde der höchsten Not haben sich die Italiener von der EU und von den EU-Mitgliedsstaaten im Stich gelassen gefühlt.“
EU-Austritt Italiens?
Das habe dazu geführt, dass fast jeder zweite Italiener aus der EU austreten möchte, sagt Hunko und verweist damit auf eine weitere Meinungsumfrage. Laut der Studie der „Termometro Politico“ vom 16. April würden heute 40 Prozent der Italiener die EU verlassen wollen.
Das sei ein Stimmungsumschwung im Land wie in Griechenland 2011, bemerkt Hunko. „Das sind Zahlen, die vergleichbar mit Großbritannien vor dem Brexit sind. Der große Unterschied: Italien ist ein EU-Gründungsstaat. Man hätte Griechenland verkraften können, weil es relativ klein ist. Man kann Großbritannien verkraften, weil es zu peripher ist und auch viel später der EU beigetreten ist. Aber ein Ausscheiden eines Kernlandes der EU - Stichwort Römische Verträge - das wäre nicht verkraftbar.“
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