Corona-Krise: Weiterhin fehlende Datenlage für weitreichende Entscheidungen – Experten

Corona-Krise: Weiterhin fehlende Datenlage für weitreichende Entscheidungen – Experten
Eine neue Analyse zur Corona-Situation zeigt: Wichtige Daten fehlen, um die Situation richtig einzuschätzen. Darauf macht ein Papier aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aufmerksam. Darin wird auch das Robert-Koch-Institut wegen fehlender repräsentativer Stichproben kritisiert. Die DIW-Analyse bestätigt andere Experten.
„Die derzeit verfügbaren Informationen zu den getesteten Personen sind unzureichend – und damit keine angemessene Grundlage für informierte politische Entscheidungen.“ Das stellt die Wissenschaftlerin Shan Huang vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Analyse zur Corona-Krise fest. Das Papier wurde am Donnerstag auf der Webseite des Instituts veröffentlicht.
Huang hebt unter anderem hervor:
„Unklar ist aber bis heute, inwieweit die offizielle Fallzahl die tatsächliche Entwicklung der Epidemie widerspiegelt. Nutzen und Kosten einer möglichen Lockerung der einschränkenden Maßnahmen können allerdings nur dann sinnvoll betrachtet werden, wenn die Zahl der Erkrankten und die aktuelle Infektionsgeschwindigkeit bekannt sind.“
Die notwendigen Daten würden bisher fehlen, betont sie, die auch für die Gesundheitssysteme entscheidend seien, um ihre Kapazitäten auf die Lage einzustellen. Das gelte für die bundesdeutsche Situation ebenso wie die internationale Lage. „Für die Umsetzung von politischen Maßnahmen, die auf Infektionszahlen basieren, sind repräsentative Stichproben unabdingbar“, so Huang.

Fehlende repräsentative Stichproben


Bisher werde nicht nur in der Bundesrepublik nur selektiv, nach ausgewählten Kriterien, auf das neue Virus Sars-Cov 2 getestet. Das löst laut Weltgesundheitsorganisation WHO die Krankheit Covid-19 aus. Die DIW-Wissenschaftlerin verweist in ihrer Analyse darauf, dass in Deutschland nur getestet wird, wer mutmaßlich mit dem Virus infiziert ist.„Dadurch unterliegen Testungen und die damit verbundenen gemeldeten Fallzahlen einer Selektion von Patienten.“ Als weitere Kriterien kämen Testkapazitäten, Präferenzen, Kosten und die vorhanden Diagnosemöglichkeiten hinzu.
„Die Selektivität von Testungen hat zur Folge, dass aus reinen Fallzahlen, also bestätigten Positivergebnissen, nur wenig Information über tatsächliche Infektionszahlen gewonnen werden können."
Repräsentative Stichproben forderte bereits der Statistiker Gerd Bosbach. In einem Interview mit dem Onlinemagazin „Nachdenkseiten“ sagte er Anfang April, die positiv Getesteten seien nur „eine kleine, nicht repräsentativ ausgewählte Gruppe“. Das Problem ist aus seiner Sicht, dass nur Menschen mit deutlichen Symptomen getestet werden. Würden mehr von ihnen getestet, steige erwartungsgemäß die Zahl der Infizierten. Aus diesen Ergebnissen ließe sich nicht ermessen, „wie sehr das Virus in der Gesamtbevölkerung bereits verbreitet ist, noch in welchem Tempo es sich verbreitet“.

Robert-Koch-Insitut bremst

Bosbach kritisierte wie jetzt die DIW-Wissenschaftlerin, dass es bisher keine repräsentativen Testungen gibt, die helfen könnten, genauer zu ermitteln, wie weit das neue Corona-Virus verbreitet ist. Ebenso wunderte er sich, dass erst auf Initiative des Virologen Hendrick Streeck aus Bonn der „Hotspot“ im Landkreis Heinsberg (Nordrhein-Westfalen) untersucht wird. Das tonangebende Robert-Koch-Institut (RKI), das dem Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) untersteht und vom Tiermediziner Lothar Wieler geleitet wird, hatte das laut Streeck abgelehnt.DIW-Forscherin Huang schreibt:
„Es ist bedauerlich, dass die Leitung des Robert Koch-Instituts die Aussage trifft, repräsentative Studien mit randomisierten Testungen seien ‚nicht sehr zielführend‘, da in Deutschland großflächig getestet werde.“
RKI-Chef Wieler hatte das in einer Pressekonferenz am 3. April erklärt. Dabei gibt es laut Huang und anderer Experten genügend empirische Beispiele, wie solche repräsentativen Stichproben möglich sind.
Eine repräsentative Test-Stichprobe der Bevölkerung forderte auch der Mathematiker Wolfgang Meyerhöfer in einem Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) am 2. April. Dabei müsse der Krankheitsverlauf der positiv Getesteten verfolgt werden. Die Infektionsrate sei „gar nicht die zentrale Frage“, meinte er. „Zu fragen ist, ob es eigentlich schlimm ist, wenn viele Menschen mit Corona infiziert sind.“Eine hohe Anzahl von Infizierten sei „genau dann schlimm, wenn damit eine hohe Anzahl an Arztbesuchen oder an durch Corona Gestorbenen einhergeht.“ Doch es werde öffentlich nicht gefragt, wie viele Infizierte ernsthafte medizinische Hilfe benötigen. „Und wie hoch ist die Mortalitätsrate, also die Rate der Corona-Infizierten, die durch Corona sterben?“

Irreführende internationale Vergleiche

DIW-Forscherin Huang geht in ihrer Analyse auch auf den Vergleich mit anderen Ländern und der dortigen Corona-Lage ein. Damit werden unter anderem die bundesdeutschen Anti-Corona-Beschränkungen gegenüber der Bevölkerung begründet. Doch die Daten aus anderen Ländern wie Frankreich, Italien oder Südkorea seien „irreführend“, da sie nicht auf einheitlichen Testkriterien basieren, so Huang.
„Nicht nur die reinen Fallzahlen unterscheiden sich zwischen den Ländern, sondern auch die Verteilung der Fallzahlen auf Subgruppen innerhalb der Bevölkerung. Ein Beispiel ist der Anteil von älteren Personen, eine der Risikogruppen.“
Das gilt nach ihren Worten ebenso für die gemeldeten Todeszahlen im Zusammenhang mit Covid-19. Diese würden „nur eingeschränkt Aussagen über das Infektionsgeschehen in Nicht-Risikogruppen“ ermöglichen. „Ohne eine Vereinheitlichung der Datenbasis besteht wenig Möglichkeit, Informationen über den Verlauf der Epidemie aus den Statistiken anderer Länder zu gewinnen.“

Lage in Bundesländern "nur bedingt vergleichbar"

Das Problem besteht laut Huang selbst innerhalb der Bundesrepublik: „Selbst Fallzahlen innerhalb Deutschlands sind nur bedingt vergleichbar“, betont sie in ihrer Analyse.
„Testungen in unterschiedlichen Regionen hängen stets von den dortigen Kapazitäten und Testkriterien ab. Auch innerhalb Deutschlands finden sich regionale Unterschiede: Mit einer Positivrate von 11,8 Prozent aller bisherigen Testungen verzeichnet Hessen den höchsten Anteil positiver Testergebnisse, während dieser Anteil für Schleswig-Holstein und Thüringen unter drei Prozent liegt.“
Huang spricht sich dafür aus, den Gesundheitssektor weiter zu digitalisieren, „um mit den Informationen zum Infektionsgeschehen eine fundierte und transparente Grundlage für politische Entscheidungen zu schaffen.“ Sie nennt als positives Beispiel Island: „Dort werden die täglichen Testzahlen erhoben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht; zudem wird zumindest teilweise randomisiert getestet.“Hierzulande fehlen weiter die von der DIW-Forscherin und anderen geforderten repräsentativen Stichproben zur Corona-Lage. Doch trotz der unsicheren Datenlage entscheidet die Politik auf Bundes- und Landesebene weiter und begründet das mit Modellrechnungen und Schreckensszenarien. So kündigten am Mittwoch zwar Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länder-Ministerpräsidenten an, dass die Beschränkungen leicht gelockert werden sollen. Das Kontaktverbot wurde aber bis mindestens 3. Mai verlängert.



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