Corona-Krise: Haben die politischen Maßnahmen gegen das Virus geholfen?

Corona-Krise: Haben die politischen Maßnahmen gegen das Virus geholfen?
Die Regierungen von Bund und Ländern haben beschlossen, die Beschränkungen in der Corona-Krise nur langsam zu lockern. Das Kontaktverbot haben sie bis mindestens 3. Mai verlängert. Eine neue Studie zu den Erkrankungszahlen in Deutschland lässt Zweifel an den Wirkungen der Maßnahmen zu. Sie macht dagegen auf andere Probleme aufmerksam.
Interessante Informationen zur aktuellen Lage der Sars-Cov 2-Epidemie in Deutschland bringt eine neue Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts (RKI). In einer am Mittwoch vorab online veröffentlichten neuen Ausgabe des „Epidemiologischen Bulletins“ des Instituts, das dem Bundesgesundheitsministeriums untersteht, wird die Entwicklung der Covid-19-Fallzahlen geschätzt. Covid-19 bezeichnet die Krankheit, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO durch das neue Coronavirus Sars-Cov 2 ausgelöst wird.
Der Blick auf den Text und auf die beigefügten Grafiken im Bulletin lässt den Schluss zu, dass das Virus keine politisch beschlossenen Beschränkungen kennt und sich nicht an entsprechende Vorgaben hält. So zeigt ein Diagramm der Sars-Cov 2-Fälle, die an das vom Tiermediziner Lothar Wieler geleitete RKI gemeldet wurden, dass diese trotz der im März beschlossenen Maßnahmen von Bund und Ländern zunahmen. Das ist anscheinend selbst für die Zeit nach dem Beschluss zum Kontaktverbot, das seit dem 23. März gilt, der Fall. Erst nach dem 1. April ist ein Sinken zu erkennen, mit einem kleineren Anstieg am 10. April. Vermutlich wegen der Osterfeiertage gebe es eine Verzögerung bei den letzten Tagen, heißt es.Die Autoren des Papiers schreiben oft „vermutlich“ und erklären mehrmals, dass sie die meisten Zahlen mit verschiedenen Methoden geschätzt haben. Allerdings schreiben sie auch, dass die tatsächliche Anzahl der Infektionen ebenso wie auch der Zeitpunkt der Infektion nicht darstellbar sei. So werde nur von den gemeldeten Fällen ausgegangen, mit dem erläuternden Zusatz, „dass 50 Prozent der Fälle nach sieben Tagen übermittelt wurden“.

Pflegeheime und Krankenhäuser als Quellen

Aufgrund dieser Unsicherheit der Daten zu den Infektionen gehen die RKI-Wissenschaftler von einem Erkrankungsdatum aus, das in 62,5 Prozent der Fälle gemeldet und beim Rest geschätzt worden sei. Sie gehen nach eigenen Angaben davon aus, dass zwischen der Ansteckung und dem Beginn der ersten Symptome durchschnittlich fünf Tage vergehen.
In dem Bulletin heißt es, dass es „eine deutlich ansteigende Anzahl von neuen Erkrankungsfällen“ in der Altersgruppe 80+ gebe. Das sei vor allem seit dem 18. März zu beobachten, während die Autoren zugleich darauf verweisen, es gebe „zunehmend auch Ausbrüche in Pflegeheimen und Krankenhäu­sern“.
Das hatte zuvor bereits eine Gruppe von Gesundheitsexperten in einem am 5. April veröffentlichten Thesenpapier festgestellt. Sie machten darauf aufmerksam, dass das neue Corona-Virus in den Krankenhäusern und Pflege- bzw. Betreuungseinrichtungen auf andere Patienten und Beschäftigte übertragen werden kann:
„Dieser Ausbreitungstyp stellt mittlerweile den dominierenden Verbreitungsmodus dar.“
Laut der Expertengruppe wird der Aufenthalt in Risikogebieten und der individuelle Kontakt als Übertragungsmöglichkeit „an Bedeutung abnehmen.“

Einflusslose Einschränkungen?

Auch hier zeigt sich anscheinend, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens wenig Einfluss darauf haben könnten, wie sich das Virus tatsächlich ausbreitet. Das gilt für die Absage großer Veranstaltungen am 9. März, die Anti-Corona-Vereinbarungen von Bund und Länder vom 16. März sowie das am 22. März verkündete und nun verlängerte Kontaktverbot.
Stattdessen wird erneut deutlich, dass in den medizinischen und Pflegeeinrichtungen mutmaßlich zu wenig getan werden kann, um Risikogruppen und Personal zu schützen – ein bereits von multiresistenten Keimen bekanntes Problem, das verschiedene Ursachen hat.
Ein Diagramm in dem RKI-Papier zeigt die geschätzten Daten, wann die jeweilige Erkrankung der gemeldeten Fälle tatsächlich begann. Es zeigt den Höhepunkt für den 18. März mit etwa 5.500 neuen Erkrankungen, also weit nach der Absage vom 9. März für Großveranstaltungen über 1.000 Menschen, auch wenn die gemäß RKI fünftägige Inkubationszeit beachtet wird. „Danach fällt die Anzahl neuer Fälle pro Tag auf etwa 4.000“, ist zu lesen.

Vor allem Ältere betroffen

Auch nach dem 16. März (Bund-Länder-Vereinbarung) gibt es kein deutliches Absinken der verzeichneten neuen Fälle, die selbst fünf Tage nach dem Kontaktverbot ab dem 23. März weiter über der Grenze von 4.000 blieben. Die wird erst ab dem 4. April erkennbar unterschritten, wobei die Autoren dazu meinen, das sei „noch mit höherer Unsicherheit verbunden und könnte sich in den nächsten Tagen noch ändern“.
In dem Papier aus dem RKI ist zu lesen:
„Ein Grund dafür, dass der Rück­gang der Neuerkrankungen trotz der gravierenden Maßnahmen nur relativ langsam passiert, ist, dass sich das Virus nach dem 18. März stärker auch unter älteren Menschen ausbreitet und wir zunehmend auch Ausbrüche in Pflegeheimen und Krankenhäu­sern beobachten. Ein weiterer Aspekt ist aber auch, dass in Deutschland die Testkapazitäten deutlich er­höht worden sind und durch stärkeres Testen ein insgesamt größerer Teil der Infektionen sichtbar wird.“
Bei den Erkrankungen wird nicht nach der Schwere unterschieden. Eine Betrachtung nach Geschlecht und Altersgruppen zeigt den RKI-Wissenschaftlern zufolge, dass die erwartete Anzahl von Fällen pro 100.000 Einwohner in der Altersgruppe 80+ „besonders stark ansteigt“. „Dies wird sich ver­mutlich auch in einem stärkeren Anstieg der An­zahl von hospitalisierten Fällen und intensivpflich­tigen Fällen zeigen.“

Merkel und die Zahlen

Die Autoren des Papiers gehen auch auf die Frage der Reproduktionszahl „R“ ein. Diese soll angeben, wie viele Personen durchschnittlich von einem Infizierten angesteckt werden. Die Bundeskanzlerin erklärte am Mittwoch erneut diese Zahl zum Maßstab für die Beantwortung der Frage, wann die Beschränkungen aufgehoben werden können.
Nach der Beratung mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer sagte sie unter anderem:
„Wir haben Modellbetrachtungen gemacht. Wir sind jetzt ungefähr bei einem Reproduktionsfaktor von 1,0, also: Einer steckt einen an. Man kann natürlich immer nur für eine Infektionskette sagen, ob einer einen ansteckt; insofern ist das ein Mittelwert, aber es ist ungefähr so, dass einer einen ansteckt. Schon wenn wir annehmen, dass jeder 1,1 Menschen ansteckt, wären wir im Oktober wieder an der Leistungsgrenze unseres Gesundheitssystems mit den angenommenen Intensivbetten angelangt.“
Laut dem „Ärzteblatt“ hatte das RKI am Mittwoch gemeldet, dass die Reproduk­tionszahl bereits am 9. April bei 0,9 gelegen habe. In den Grafiken im neuen Bulletin aus dem RKI erreicht die „effektive Reproduktionszahl“ schon am 21. März die Grenze „R 1“, um sich mit leichten Schwankungen meist darunter zu bewegen. Selbst die erhöhten Testzahlen ändern daran anscheinend ebenso wenig wie die jeweiligen Maßnahmen. Die Autoren des Bulletins geben keine Wertung der Ergebnisse ab.

Bisher ausgebliebener „Sturm“

Die Kanzlerin erklärte am Mittwoch unter anderem: „Bei einem Wert von 1,3 - das hört sich nicht nach viel an; wir kommen ja von einem Wert von drei bis fünf Ansteckungen - wären wir schon im Juni an der Belastungsgrenze unseres Gesundheitssystems.“ Doch trotz der höheren Zahl „R“ in den ersten Wochen, die der Berliner Virologe Christian Drosten Anfang März auf 3 schätzte, gab es keinen vorhergesagten Zusammenbruch des Gesundheitssystems oder einen Kollaps der Intensivstationen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte bereits am 26. März vor der „Ruhe vor dem Sturm“, einer möglichen Überlastung der Intensivstationen, gewarnt. Tatsächlich gab es knapp drei Wochen später keine Klinik in Deutschland, die an ihre Kapazitätsgrenzen gelangte. Spahn selbst erklärte zu Ostern, dass immer noch 10.000 Intensivbetten frei wären.Dennoch wird weiter mit einem solchen Kollaps gedroht und damit begründet, warum unter anderem das Kontaktverbot bis mindestens 3. Mai verlängert wurde. Das neue Papier aus dem tonangebenden RKI bietet allem Anschein nach keine Rechtfertigung für die von Bund und Ländern aufrechterhaltenen Maßnahmen. Es bietet zugleich weiteren Anlass für Zweifel an den offiziellen Darstellungen zur Corona-Krise, wie bereits andere ähnliche Papiere zuvor.


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