„Unsere Zahlen sind Unsinn“ – Deutscher Chef des Weltärztebundes über Corona-Krise
Wann ist mit dem Höhepunkt der ersten Corona-Virus-Welle zu rechnen und wann werden die Beschränkungen aufgehoben? Sind die Zahlen aus Deutschland, aber auch aus China, sicher? Schützen Gesichtsmasken? Diese und andere Fragen zur Corona-Krise hat Frank Ulrich Montgomery vom Weltärztebund gegenüber ausländischen Journalisten beantwortet.
Zu Ostern wird es den ersten Höhepunkt in der Pandemie durch das Corona-Virus Sars-Cov 2 in Deutschland geben. Das erwartet Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte der Europäischen Union (CPME) und Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes (WMA). Er rechne in den nächsten Tagen mit dem Überschreiten der 1.000er-Grenze an Toten im Zusammenhang mit der Krankheit Covid-19, die laut WHO durch den neuen Virus ausgelöst wird. Das sagte Montgomery am Donnerstag in einem Online-Pressegespräch mit Korrespondenten ausländischer Medien in Deutschland.
Aus seiner Sicht entscheiden die Daten über die Entwicklung der Pandemie über das Datum, wann die derzeitigen politisch beschlossenen Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufgehoben werden können. Montgomery sagte, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe „völlig Recht, wenn sie meint, bis zum 19. April wird sich da überhaupt nichts ändern“. Entscheidend seien aber wissenschaftliche Aussagen darüber, wann wieder mehr Kontakte zu gelassen werden können. Dieser Zeitpunkt bleibe aber weiter unklar.
„Masken sind nur Show und helfen nichts“
Zur Diskussion um die Schutzmasken im Alltag erklärte er: „Wissenschaftlich erwiesen nutzen die Masken nichts.“ Sie würden nicht verhindern, dass sich bisher Nichtinfizierte bei Infizierten anstecken können. Das gelte insbesondere für selbstgestrickte und gebastelte Masken unterhalb des Schutzniveaus FFP 2 und FFP3. Montgomery bezeichnete sie aber als „Ausdruck sozialer Solidarität“, wenn sie benutzt würden. Er trage im Supermarkt auch eine solche, „damit alle sicher sein können, wenn ich mal huste, niese oder sonst Tröpfchen absondere, dass die da drinbleiben und nicht weiterverbreitet werden“.
Selbst die WHO habe aber von diesen Masken abgeraten, wenn Menschen nicht infiziert seien und Viren ausscheiden. Laut Montgomery spricht auch das trügerische Sicherheitsgefühl gegen die Masken, weil dadurch nicht mehr so auf den Abstand zu anderen Menschen geachtet werde. „Deshalb bin ich gegen die Maskenpflicht und trage trotzdem selber draußen im Supermarkt eine Maske, um damit auch meine Verbundenheit mit der Gesellschaft auszudrücken.“
Auf die Nachfrage einer Journalistin aus Österreich, wo es eine Maskenpflicht gibt, sagte der Mediziner: „Wenn eine Maske sinnlos ist, dann ist es egal, ob sie aus der Apotheke, von Aldi oder aus einem Schal ist.“ Es gelte: “For show ist for show und bleibt for show und hilft nichts.“
Wann ist der Ausstieg zu erwarten?
Der Vorsitzende des Weltärztebundes hob hervor: „Wir werden auf Dauer die Durchseuchung der gesamten Bevölkerung nicht verhindern können.“ Das sei dann der Fall, wenn sich alle angesteckt haben oder ein Impfstoff gegen Covid-19 vorhanden sei. „Irgendwann werden wir die Herdenimmunität erreichen und erst dann können wir uns entspannt zurücklehnen und sagen, jetzt ist diese Krankheit besiegt.“
Solange müssen laut Montgomery die Kapazitäten in den Krankhäusern und im gesamten Gesundheitswesen für die an Covid-19 schwer Erkrankten aufrecht erhalten bleiben. Diese Kapazitäten im Verhältnis zu den Erkrankungen sei die Größe, wann der Ausstieg aus der aktuellen Strategie möglich sei, mit der die Ausbreitung der Krankheit verlangsamt werden soll. Wenn die schweren Erkrankungen sicher unterhalb der Grenze der verfügbaren Behandlungsplätze liegen würde, könnten wieder mehr Kontakte zugelassen werden, so der Ärztefunktionär. Montgomery ist selbst Radiologe.
Zu den gemeldeten Zahlen wie die der Neuinfektionen erklärte er: „Das klingt auf den ersten Blick natürlich furchtbar, wenn die sich immer wieder verdoppelt. Wenn wir die Neuinfizierten zählen, zählen wir kumulativ [anhäufend – Anm. d. Red.] alle, die das jemals gehabt haben.“ Aber es würden ja Infizierte wieder gesund betonte Montgomery, die rausgerechnet werden müssten. Es sei in der Wissenschaft auch noch nicht klar, ob zehn oder 14 Tage entscheidend seien, um die Dimension der Neuinfizierten einschätzen zu können.
„Diese Zahlen sind Unsinn“
Der Vorsitzende des Weltärztebundes äußerte sich auch zu den verschiedenen Zahlen aus verschiedenen Ländern über Infizierte, Erkrankte und Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19. Zu den offiziell gemeldeten Daten aus China sagte er: „Wer die chinesischen Zahlen glaubt, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet. Diese Zahlen sind Unsinn.“
Er fügte aber hinzu: „Wir haben allerdings ein schlechtes Argument: Unsere Zahlen sind auch Unsinn.“
Montgomery erklärte: „Keiner kennt die exakte Zahl.“ Während China unterstellt werde, nicht die richtigen Zahlen zu veröffentlichen, gelte hierzulande: „Wir haben einfach keine besseren Zahlen.“ Alle Szenarien und Prognosen über die Entwicklung der von der WHO ausgerufenen Covid-19-Pandemie würden „auf der Grundlage sehr unsicherer Zahlenwerke“ erfolgen, „weil es auch keine besseren gibt“.
Der Ärztefunktionär meinte aber, in der Bundesrepublik gebe es noch vergleichsweise die beste Datenlage, weil hierzulande sehr früh sehr umfangreich begonnen worden sei, mutmaßlich Infizierte zu testen. Aber: „Wir sind weit davon entfernt, dass wir die echten Zahlen haben. Ich glaube, die sind viel höher.“ Das begründete Montgomery damit, dass die Covid-19-Symptome in den meisten Fällen die einer leichten Erkältung seien.
Er sei mit seiner Frau Ende 2019 noch in Hongkong und Taiwan und danach selbst leicht erkältet gewesen. „Ich wüsste für mein Leben gern, wenn es den Antikörper-Test gäbe, ob wir nicht längst gegen Corona immun sind, weil wir es da damals durchgemacht haben, überhaupt nicht ahnend, was das ist.“
Fehler beim Zählen der Toten?
Gegenüber den Korrespondenten revidierte Montgomery seine frühere Einschätzung, dass das Virus Sars-Cov 2 mutmaßlich weniger gefährlich als die Influenza-Viren sei. Inzwischen seien die bekannten Sterberaten von Infizierten beim neuen Corona-Virus höher, in Deutschland bei etwas über einem Prozent. Zu den entsprechenden Zahlen aus Italien meinte er, dort und hierzulande werde ein Fehler begangen: Jeder gestorbene Mensch, der positiv auf das neue Virus getestet wurde, werde „automatisch als Covid-Kranker oder Covid-Toter gezählt“.
Angesichts des Durchschnittsalters dieser gemeldeten Toten in Deutschland von „deutlich über 80 Jahren“ sei die Frage: „Wie viele von diesen Menschen sind nicht am Virus, sondern mit dem Virus gestorben? Die haben natürlich auch ganz andere Erkrankungen, die auch zum Tode führen. Wer weiß, ob sie sich nicht das Virus erst in den letzten Tagen des Aufenthalts in der Klinik geholt haben und das Virus selber für ihr Ableben eigentlich gar keine Rolle spielt.“
Das könne auch die hohen Zahlen in Italien erklären, vermutete Montgomery. Das könne nicht allein am vermeintlich schlechteren Gesundheitswesen in Italien liegen, wobei das in Norditalien fast deutsche Standards entspreche. Doch in dem südeuropäischen Land sei erst sehr spät auf die Infektionen reagiert worden, was das Gesundheitswesen dann überfordert habe. Zugleich seien internationale Vergleiche schwierig wegen der unterschiedlichen Standards in den Ländern.
„Eigentlich gilt: Leben vor Geld“
Aus seiner Sicht ist die Entscheidung über das Ende der Eindämmungsmaßnahmen nicht einfach. Als Mediziner und aus rein wissenschaftlicher Sicht würde er sagen: „Leben vor Geld“. Unter dieser Perspektive sei die Rate der Erkrankten unterhalb der Kapazitätsgrenze des Gesundheitswesens entscheidend. Montgomery fügte hinzu: „Es ist aber natürlich illusorisch, dass ein Land, was sich sein Gesundheitswesen dann nicht mehr leisten kann, weil die Wirtschaftsleistung derartig in die Knie gegangen ist, sich dann noch an diese Bedingungen hält.“
Zu den Forderungen aus der Wirtschaft, die Beschränkungen nach Ostern wieder zu lockern, meinte er der Weltärztebund-Chef: „Als ob das Virus weiß, was Ostern ist, oder sich an deutsche Osterferien hält. Das ist ja lächerlich.“ Er rechne aber damit, je öfter diese Diskussion geführt werde, desto eher würden aufgrund der wirtschaftlichen Interessen die Maßnahmen wieder gelockert. Doch sei eine politische Diskussion, hob der Arzt hervor.
Montgomery lobte die Strategie der Bundesregierung im Umgang mit dem sich ausbreitenden Virus. Er stütze sich dabei auch auf den internationalen Vergleich. Eine Reihe von Ländern wie Großbritannien und die Niederlande hätten erst gar nicht reagiert und darauf gesetzt, dass der Kontakt mit dem Virus die Bevölkerung schnell immunisiere. Davon seien sie aber inzwischen abgekommen. Andere hätten auf maximale Abschottung gesetzt, so Italien, dass aber erst gar nicht reagiert habe. Das Problem dabei sei, „Sie wissen nicht mehr, was innerhalb der abgeschotteten Bereiche vor sich geht“.
Beste Voraussetzungen in Deutschland?
Der Ärztefunktionär lobte dagegen den von ihm sonst häufig kritisierten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Dieser habe bereits im Januar dank seiner Berater wie dem Virologe Christian Drosten begriffen, was sich da entwickle. So seien die Pandemie-Pläne von Bund und Ländern angepasst und das Gesundheitswesen auf die Infektionswelle vorbereitet worden, so Montgomery. Die Bundesrepublik würde deshalb mit „der besten, maximalen Vorbereitung" dastehen.
Es gebe in Deutschland „fantastische Voraussetzungen“, wovon allein zeuge, dass die bisher rund 28.000 Intensivbetten in Krankenhäusern und Kliniken auf 50.000 aufgestockt würden. Im Vergleich dazu habe Großbritannien nur 4.000 solcher Plätze, Spanien nur 4.400 und Italien 5.000. Auch beim Blick auf die geringeren Bevölkerungszahlen dieser Länder habe die Bundesrepublik eine deutlich bessere Ausgangslage.
Alle bisher 28.000 Intensivpflegeplätze seien regulär mit Beatmungsgeräten ausgerüstet, erklärte Montgomery auf Nachfrage. Derzeit komme die Produktionsfirma nicht mit dem gestiegenen Bedarf mit. Das bundesdeutsche Gesundheitswesen zeige derzeit trotz aller Probleme, dass es eines der weltweit besten sei. Dazu habe auch der aktive Widerstand gegen seine radikale Ökonomisierung beigetragen, der sich jetzt als richtig erweise.
„Hilfe aus Russland herzlich wilkommen“
Montgomery zeigte sich froh darüber, dass es in Deutschland keine Ausgangssperre gibt. Zugleich bedauerte eine beobachteten „Verfall von Staatsautorität“ hierzulande. Deshalb seien strengere Maßnahmen als reine Appelle an die Vernunft der Bürger, wie sie in Schweden bisher auszureichen schienen, notwendig. Der Ärztefunktionär gestand, dass ihm gefalle, dass in asiatischen Ländern mehr auf die Autoritäten des Staates gehört werde.
Dennoch beklagte er Einreisesperren, wie sie einzelne Bundesländer ausgesprochen haben, so Mecklenburg-Vorpommern. Deshalb dürfe er beispielsweise nicht in sein Ferienhaus an der Ostseeküste fahren. Er wundere sich über solche Einschränkungen, obwohl das Grundgesetz überall gelte, und warum nun Mecklenburg-Vorpommern geschützt werden müsse:
„Das sind in meinen Augen kranke Gedanken.“
Auf eine Frage dazu begrüßte er die russischen Hilfslieferungen an Italien. Wenn Russland dazu in der Lage sei, sei das „herzlich willkommen“. „Jedes Land in der Welt hilft einem anderen. Das ist eigentlich ein ganz toller Ansatz. Wenn das das Motiv der russischen Regierung war, dann ist das ganz, ganz toll.“ Es bleibe die Frage, was geschieht, wenn sich die Lage in Russland selbst zuspitze. Es werde von der Epidemie nicht verschont bleiben, schätzte der Weltärztebund-Vorsitzende ein. Er hoffe, dass dann auch Russland geholfen werde.
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