Macht Russland alles richtig in Corona-Krise? Experte zieht Vergleich zu Deutschland
Am Mittwoch hat Russlands Präsident Wladimir Putin angesichts der Ausbreitung des Coronavirus wirtschaftspolitischen Maßnahmen für Russland vorgeschlagen, die nun umgesetzt werden. In einem Sputnik-Gespräch liefert der Russland-Experte Dr. Gerhard Mangott einen kritischen Vergleich dieser mit den deutschen.
Die russische Regierung soll nun die ersten Maßnahmen angenommen und an die Gesetzgebung weitergeleitet haben. Dem Regierungschef Michail Muschustin zufolge geht es vor allem um die Senkung der Versicherungsprämien sowie um die Verlängerung der Kreditfristen für Einpersonen- und Kleinunternehmen. Ab Montag sollen in Russland nur noch die Geschäfte und Organisationen funktionieren, deren Arbeit für die Lebensversorgung unentbehrlich ist. Eine Woche wird „arbeitsfrei“ sein - bei den 844 offiziellen Infizierten und zwei Toten.
Was einem sofort auffällt: weder hat Russlands Präsident eine längere Quarantäne für alle verkündet noch solide Hilfspakete für die Wirtschaft in Aussicht gestellt. Das bemängelt unter anderem der österreichische Russland-Experte Dr. Gerhard Mangott in einem Sputnik-Gespräch.
Eine arbeitsfreie Woche sei für die Unterdrückung der Verbreitung des Virus nicht ausreichend, so Mangott, auch werden die Leute nicht direkt aufgefordert, in Quarantäne zu gehen oder sich möglichst viel zu Hause aufzuhalten.
Bisher gilt in Russland lediglich eine Pflicht-Quarantäne für die Rückkehrer aus dem Ausland bzw. für die Kontaktpersonen der Infizierten. Einzelne Arbeitgeber haben vor über einer Woche ihre Mitarbeiter auf das Homeoffice umgestellt, zum Großteil in Moskau nach einer entsprechenden Empfehlung des Bürgermeisters Sergej Sobjanin.
„Dies möchte man unter allen Umständen verhindern“
Die sozialpolitischen Maßnahmen inklusive der automatischen Verlängerung der Sozialleistungen findet der Experte schon gut, aber „es gibt kein Konjunkturpaket, dass Russland bis jetzt verkündet hätte, die Wirtschaft in dieser schwierigen Lage zu unterstützen“, kritisiert er. Allerdings erklärt Mangott die geringen Beschränkungen mit der schon verbreiteten Befürchtung, dass die russische Wirtschaft im Falle einer Ausgangssperre oder anderer strengen Ausgangsbeschränkungen durch den sogenannten Lockdown um bis zu zehn Prozent einbrechen könnte - stärker als in der Finanzkrise 2009.
In dieser Hinsicht findet der Experte die deutsche bzw. die österreichische Wirtschaft mit ihren Konjunkturpaketen besser für die kommende Krise vorbereitet - auch wenn jetzt von den linken Politikern wie Oskar Lafontaine Finanzierungsquellen hinterfragt werden.
Mangott verweist darauf, dass Deutschland dank seinem ausgeglichenen Budget international gesehen ein verlässlicher Kreditnehmer sei und mit niedrigeren Zinsen rechnen könne. Auch in Russland sei die Staatsverschuldung mit etwa 12,3 Prozent des BIP relativ gering, aber die Zinslast für diese Verschuldung sei schon höher. Warum die russische Regierung jetzt nicht weitere grundlegende Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft verkündet, sieht der Experte darin, dass solche die Verschuldung hochtreiben würden.
„Diese Verschuldung möchte man unter allen Umständen verhindern, um nicht noch anfälliger gegenüber den Sanktionen zu sein.“
Positiv kommentierte der Vorsitzende des Ortsausschusses der deutschen Wirtschaft Oliver Hermes in einem Sputnik vorliegenden Statement, der russische Staat habe aufgrund der soliden Haushaltsplanung der vergangenen Jahre genug Ressourcen, um für Stabilität zu sorgen. Allerdings befürchtet Hermes, dass eine von Putin angekündigte höhere Besteuerung von Dividendentransfers in Offshores Dividendenzahlungen nach Deutschland betreffen könnte. Bisher ist die Rede ausschließlich von den Transfers in sogenannte Steueroasen.
„Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum ...“
An diesem Donnerstag hat die Vertreterin der Weltgesundheitsorganisation in Russland, Melita Vujnović, mitgeteilt, dass eine strenge Quarantäne für Russland noch nicht gebraucht werde. Würden Russland und Moskau Selbstdisziplin einhalten, würde es leichter fallen, die Krise ohne eine strenge Quarantäne zu bewältigen - etwa wie in Singapur oder Japan. Sie vertraue den Behörden, die die Situation mit den Zahlen offenbar beherrschen würden. Der Chefarzt des Moskauer Krankenhauses mit den meisten Corona-Fällen, Denis Prozenko, zeigte sich skeptischer und warnte Putin bei dessen Besuch in seinem Haus vor zwei möglichen Szenarien für Russland: einem chinesischen, wo die Zahl der Infizierten bzw. der Todesopfer wieder kontrolliert wird, oder einem italienischen - mit einer gegensätzlicher Lage. Die vermeintliche Eindämmung der Krise sei erst „den zeitgerechten drakonischen Maßnahmen“ der Behörden bzw. sehr guten epidemiologischen Untersuchungen zu verdanken, sagte Prozenko zuvor in einem Interview.
Mangott sieht die Lage der Dinge ähnlich wie Prozenko, ist aber mit Blick auf das russische Gesundheitssystem etwas skeptischer. „Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Ausbreitung des Virus in Russland sich anders ereignen sollte als in den anderen Ländern in der westlichen Welt“, meint er. Es werde ja immer noch wenig getestet bzw. das Gesundheitssystem in den Regionen funktioniere „nicht wirklich gut“. Mangott ist sich aber sicher: Wird sich die Infektion stärker ausbreiten, wird Putin nichts anderes übrig bleiben, als letztlich doch eine Ausgangssperre zu verhängen.
„Grüne Korridore“ frei von Handelskriegen und Sanktionen
Auf dem G20-Gipfel zu Corona hat Russlands Präsident am Donnerstag eingesehen, dass die Probleme aufgrund der Coronavirus-Pandemie zu umfassenderen Schocks führen würden als die Finanzkrise 2008. Das Hauptrisiko sei eine Langzeitarbeitslosigkeit, befürchtete Putin und fügte hinzu, dass Handelskonflikte und Sanktionen nur die Rezession in vielen von der Corona-Krise betroffenen Volkswirtschaften verschärfen würden. Laut Putin ist es jetzt wichtig, „grüne Korridore“ zu schaffen, die frei von Handelskriegen und Sanktionen für die gegenseitige Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Technologien wären.
Mittlerweile wappnet sich Russland eher buchstäblich für den Kampf gegen die Epidemie: auch die medizinischen Kapazitäten der Armee werden dafür vorbereitet, wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu dem Ministerpräsidenten Mischustin am Donnerstag berichtete. Es werden immer mehr Testsysteme im Lande angeboten. Künftig müssen sie breiten Massen zugänglich werden.
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