- Frau Milev, Sie forschen zu gesellschaftlichen Ausnahmezuständen – wie sie entstehen und was sie mit sich bringen. Haben wir denn einen „richtigen“ Ausnahmezustand wegen der mit dem Coronavirus verbundenen Gefahren für Leib und Leben?
- Nach innen hin, also der Bevölkerung, wird etwas von Corona erzählt, während die sozialen Märkte umgestellt und Inflationen und Deflationen initiiert werden. „Corona“ ist doch nichts anderes, als der ein klassischer Euphemismus, also eine Umschreibung für etwas, was „Kriegsrecht“ legitimieren würde. Es ist wie bei 9/11, als ein globaler Kriegszustand militärische Eingriffsrechte weltweit erteilte. Begründet wurde so etwas immer mit dem Schutz der Demokratie, der Sicherheit, der Nation. Das sind klassische Umschreibungen in jedem Krieg. Wir haben heute Wirtschaftskriege, die genauso funktionieren.
- Aber von einem Krieg zu sprechen ist in dem Corona-Kontext vielleicht etwas drastisch?
- Es wird zur Zeit eine Art „Kriegszustand“ aufgebaut - und ein durch Angst kontrolliertes „Framing“. Das ist gewollt. Auf der einen Seite der Kriegszustand und auf der anderen Seite der soziale Ausnahmezustand mit sozialen Schockstrategien. So brechen etwa massenhaft Branchen der freiberuflichen, auch der mittelständigen Unternehmen ein.
Kriegsrecht und Polit-Agenda von „Ausnahmezustand Corona“: Expertin zur Gefahr rechtsfreier Räume
„Corona“ versetzt die Republik in einen Ausnahmezustand: Da wird künstlich ein rechtsfreier Raum hergestellt, in dem neoliberale Umverteilungen stattfinden, so Soziologin Yana Milev. Die Situation sei vergleichbar dem Gesellschaftsumbau, den DDR-Bürger erlebten. Und – 9/11. Es gehe schlicht um Marktregulierungen durch Umwälzungen und Übernahmen.
Ein Ausnahmezustand ist für gewöhnlich die Bedingung für Krieg, denn nur in außergewöhnlichen Zuständen tritt das Kriegsrecht in Kraft. In Zeiten des Kriegsrechts finden Gesetzeseingriffe statt, Verfassungen werden geändert, die ganze Geopolitik. Warum? Um die Märkte zu regulieren und um die Markthoheit neu zu ordnen. Das betrifft Ressourcen, Währung und Bevölkerung. Wirtschaftskriege sind neoliberale Schockstrategien der freien Märkte. Die Staaten ziehen mit, da sie Gläubiger der Vermögenden sind - nicht umgekehrt. Ob die nun Bahlsen, Oetker oder Quandt heißen, diese Familien und viele andere wurden mit der Kriegswirtschaft unter Hitler gigantisch reich und bestimmen heute die Märkte.
- Der Grund ist also eine geopolitische Neuordnung und die von Märkten?
- Es sind künstlich hergestellte Notfallsituationen, diese Ausnahmezustände mit rechtsfreien Räumen, in denen neue neoliberale Umverteilungen, Annexionen, ganze Umwälzungen stattfinden. So ändern sich Kontrollhoheiten über Währungen, die geopolitische Kontrollen nach sich ziehen. Das nennt man in der Wirtschaft „Einflußsphäre“, also die Hegemonie über Finanzmärkte, Ölmärkte, aber auch neue Markttypen wie Migrationsmärkte oder den Markt, an dem mit unseren persönlichen Daten gehandelt wird. Diese Zustände werden immer dann initiiert, wenn globale Kräfteverhältnisse zu kippen drohen. Der Ausnahmezustand ist die sogenannte Ultima Ratio - der klassische „Letztgrund“ für das Kriegsrecht. Oft ist diese Ultima Ratio eine Selbstermächtigung. Der „Casus Belli“, der Kriegsgrund, ist diesmal das Virus und nicht Russland oder der Kommunismus.
Kurz: Die Bundesregierung ist Büttel der Wirtschaft. Die Politik in unseren Demokratien instrumentalisiert jetzt die Corona-Pandemie, um rechtsfreie Räume zu schaffen, um alsbald Gesetze durchzusetzen, die letzten Endes den großen Unternehmen dienen. Die Agenda lautet: Erzeugung eines künstlichen Finanzmarktkollaps wie 2008. Zur Deregulierung der Märkte
- Gibt es denn konkrete Anhaltspunkte und was soll Ihrer Meinung nach Regulierungsziel sein?
- Ja, Anhaltspunkte gibt es. Zum einen sind die Argumente in den Medien widersprüchlich. Man tut zur Prävention nicht annähernd so viel wie in China. Zum anderen hat die Europäische Zentralbank EZB ein Banken-Rettungspaket über 750 Milliarden Euro verabschiedet. Wie bereits 2008. Das Rettungspaket soll die Währungsführung des Dollar / Petrodollar stabilisieren, da es jetzt wieder einen Börseneinbruch gibt.
China hingegen ist in einer wirtschaftlichen Konjunktur und zum seriösen Konkurrenten und Feind der Dollarwährung aufgestiegen. Mit der Corona-Krise soll vor allem der Aufstieg des Yuan als Weltwährung gestoppt werden. Deutschland wird als Land der Euro-Zone Teil durch den Dollar kontrolliert. Der Dollar ist nach wie vor für den Euro die Leitwährung. Chinas Währung geht andere Wege - die gerade auch zur Gefahr für die US-Leitwährung, den Petrodollar, wird. Und die Bundesregierung kann keine isolierten Entscheidungen treffen denn sie ist Teil eines supranationalen Territorial- und Währungsgebildes. Deutschland ist vor allem an den Transatlantikpakt gebunden.
Hinterher wird das Geschehene durch die politische Bildung und die Medien ideologisiert, Akten kommen unter Verschluß - 30 Jahre und meist sogar länger.
- Aber was mag der jetzige Ausnahmezustand „Corona-Krise“ mit dem Gesellschaftsumbau, den die DDR-Bürger erlebten gemein haben?
- Beim Gesellschaftsumbau der DDR zwischen 1990 und 1994 war es ähnlich wie jetzt. Die Wahlbevölkerung der DDR kannte zum Wahltag am 18. März 1990 den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 und damit die „Regieanweisung“ für den Umbau nicht. Sie wählten also lediglich das Design aus dem Wahlkampf des Bundeskabinetts. Das waren die D-Mark, die „blühenden Landschaften“, die Werbung aus dem Westfernsehen.
Die DDR-Bevölkerung konnte zum Zeitpunkt der sogenannten Wahl auch nicht den Unterschied zwischen der Treuhandanstalt der Regierung unter Hans Modrow vom 1.März 1990 und dem Treuhandgesetz kennen, denn es wurde erst im Juni 1990 verabschiedet. Zudem wurde sie nicht über die Auflösung der DDR-Verfassung am 17. Juni 1990 informiert samt der Konsequenzen, die diese für sie als Neubürger hätten. Die Massen wurden mit der D-Mark gelockt und mit Lügen geschockt, etwa der, dass die DDR zahlungsunfähig sei. Diese Regierungs-Narrativen haben sich bis heute durchgesetzt und gehalten.
Proteste der Bevölkerung hingegen wurden seinerzeit medial geradezu kaltgestellt. Die Arbeitskämpfe zwischen 1990 und 1994 an denen bis 5 Millionen Menschen beteiligt waren, diese Proteste hatten die Medien über vier Jahre großzügig ausgeblendet. Die Demos im Herbst 1989 hingegen waren allgegenwärtig und wurden „gehypt“. Die Strategie der Täuschung und Tarnung ist eine zentrale Regierungsstrategie, auch in Deutschland. Das Ziel nach innen: Soziale Schwarmeffekte erzeugen. Hinter einer massenpsychologisch wirksamen PR-Fassade spielt sich der Gesellschaftsumbau ab: Privatisierungen und Übernahmen.
- Worin liegt die Vergleichbarkeit zur heutigen Situation?
- Weiß man denn, ob nach der „Krise“ die Sparkassen wieder öffnen? Oder ob sie von einer Bank XY übernommen wurden? Was die Geldeinlagen noch wert sein werden? Weiß man denn, ob die digitalen Märkte jetzt eine Übernahme der gesamten Wirtschaft verfolgen und verschiedene Dienstleistungen nicht mehr marktrelevant sein werden? Was wird mit der Gruppe der Selbständigen während und nach der Krise? Werden sie ein Grundeinkommen erhalten - oder werden sie ebenfalls alle Kandidaten für Hartz-IV? Wem werden die Medien gehören? Werden neue Staatsverträge, besser gesagt Geschäftsverträge, unterschrieben und finden Verfassungseingriffe und Gesetzesänderungen statt?
- Da sind Fragen, die auch so manchen Globalisierungskritiker beschäftigen mögen. Welche Parallelen machen Sie zur Vergangenheit aus die den Vergleich zur DDR stützen?
- Die Börse kollabiert fast, unaufhaltsame Talfahrten sind zu verzeichnen und schon wieder werden neue Rettungspakete geschnürt. Wie bei der Finanzkrise, die durch den „Lehman-Crash“ ausgelöst wurde. Oder bei der Griechenland-Krise, als die EU die Griechen mit Rettungspaketen zum Verbleib in der EU gezwungen hatte.
Auch die in der DDR sozialisierten Menschen haben so etwas erlebt: Die Treuhandanstalt agierte ab 1990 vier Jahre im rechtsfreien Raum. Der Leitungsausschuss, der etwa 100 Unternehmensberater von Firmen wie Roland Berger, McKinsey, Price Waterhouse Coopers beschäftigte, wurden von der Bundesregierung gedeckt. Die Manager erhielten für ihre Beraterdienste Boni in schwindelerregender Höhe. Während zur gleichen Zeit knapp 5 Millionen DDR-Bürger in die Arbeitslosigkeit gingen, darunter auch Wissenschaftler, Menschen im Öffentlichen Dienst, Ärzte, Ingenieure.Ungehindert konnten in der Zeit skandalöse Dinge geschehen - wie der „Stegner-Deal“, bei dem in Ostdeutschland die größte Giftmülldeponie Europas im ehemaligen Kali-Bergwerk Bischofferode entstehen sollten. Und das alles, während die Kali-Kumpel im Hungerstreik waren, um ihre Gruben zu retten und eine Zukunft zu haben. Die Details zum „Stegner-Deal“ sind bis heute nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, die Akten dazu sind bis zum Jahr 2031 unter Verschluss.
- Wie soll der mündige Bürger in einer Demokratie nun Ihrer Meinung nach reagieren?
- Bestenfalls mehrere Medien lesen: Oft werden auf diese Weise widersprüchliche Informationen schnell erkennbar. Man sollte zwischen Staatsmedien und alternativen Medien unterscheiden lernen. Kritischer, parteienunabhängiger Journalismus ist auch heute existentiell. Jeder Mann, jede Frau sollte so viel geistige und politische Selbständigkeit besitzen, Zivilcourage, sich ein eigenes Bild zu machen. Die Wahrheit ist das erste Opfer in Kriegsgeschäften – und die laufen ja ständig.
Zur Person
Yana Milev gründete den Think Tank AGIO (Gesellschaftsanalyse + Politische Bildung). Die Kultursoziologin wurde in Leipzig in der damaligen DDR geboren. Nach dem Studium der Kunst und künstlerischer Karriere, ging sie für ethnografische Studien nach Japan. Danach Doktoratsstudium für Philosophie an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. 2008 promovierte sie zu Themen des Krieges und des Ausnahmezustands im 21. Jahrhundert. Nach einer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Soziologie der Universität St. Gallen, erfolgte ihre Habilitation und die Ernennung zur Privatdozentin an der „School of Humanities and Social Sciences“ daselbst. Seit 2017 ist sie Leiterin des Projektes „Entkoppelte Gesellschaft“, in der sie sich mit der Wendezeit beschäftigt.
Milevs aktuelles Buch ist „Das Treuhand-Trauma. Die Spätfolgen der Übernahme“, Eulenspiegel Verlag, 288 Seiten, Buch Euro 18,– ISBN 978-3-360-01359-0 oder als eBook für Euro 12,99 ISBN 978-3-360-50166-0.
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