„Das ist das große Hindernis zwischen Europa und Russland“: Gabriel geht auf Sputnik-Frage ein
Während einer Buchvorstellung in Berlin hat der SPD-Politiker Sigmar Gabriel Voraussetzungen für einen Neuaufbau der Beziehungen zu Russland genannt. Dabei bemängelte er „die Bereitschaft Russlands, im Zweifelsfall militärische Gewalt einzusetzen“. Die militärische Einmischung Europas in Krisenregionen steht aber auch für ihn nicht außer Frage.
Der Chef der Atlantik-Brücke in Deutschland, Berater bei einer US-Denkfabrik, Kandidat für den Aufsichtsrat bei Deutsche Bank: Am Mittwochabend präsentierte sich der Ex-Außenminister und ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel im Berliner Kulturhaufhaus „Dussmann“ auch als Buchautor.
Mit Blick auf sein neues Buch „Mehr Mut“ diskutierte Gabriel mit dem Moderator Johannes B. Kerner am Anfang, warum es so wenige Politiker mit langfristiger Strategie gebe, die auch Generationen voraus denken würden. Es werde einem vorgehalten, nicht über eine Legislaturperiode hinauszudenken, so Gabriel, dazu wollten die deutschen Bürgerinnen und Bürger von den Politikern eben erst Dinge wissen, die morgen und übermorgen stattfinden würden und nicht in der weiten Zukunft. „Vieles lässt sich nicht hervorsehen“, so Gabriel. Er sei 2013 in die Bundesregierung gekommen, dann habe Russland plötzlich die Ukraine besetzt und in der Ostukraine habe es Krieg gegeben, als nächstes sei die Finanzkrise in Griechenland und eine Eurokrise in der Währungsunion gekommen…Ob die Beziehungen zu einem wohl schwierigen, aber doch wichtigen europäischen Land und Nachbar wie Russland es trotzdem nicht wert sind, die Außenpolitik Deutschlands und der EU doch im Sinne der Langfristigkeit oder, besser gesagt, der Weitsichtigkeit zu gestalten, hieß die Sputnik-Frage an Gabriel. Es würden doch viele meinen, langfristig werde es in Europa ohne Russland keine Frieden geben bzw. wären die Nato-Akteure und der Westen am Anfang des Jahrhunderts weitsichtiger gewesen, hätte es auch keine „Annexion“ der Krim gegeben.
„Ich glaube, dass die Krim nicht das einzige Problem war“, antwortete Gabriel. Er könne sich auch daran erinnern, dass Russland auch im Kaukasus mit militärischer Gewalt vorgegangen sei.
Gabriel ist sich sicher: „Russland hat sich zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu entschieden, im Zweifel bereit zu sein, militärische Gewalt einzusetzen. Und das ist das große Hindernis zwischen Europa und Russland.“
Natürlich habe Europa kein Interesse daran, Russland immer stärker in eine Zusammenarbeit mit China zu bringen, so der SPD-Politiker weiter, was historisch auch von den Russen gar nicht gewollt werde. Damit es aber „zum Neuaufbau unserer Beziehungen“ komme, müsse etwas passieren. „Erstens brauchen wir einen dauerhaften Waffenstillstand in der Ostukraine, und zweitens, Russland muss aufhören, sich am Bombardement der Zivilbevölkerung in Syrien zu beteiligen.“
„Ich meine, ich bin wirklich jemand, der sehr daran interessiert ist, mit Russland gute und vernünftige Beziehungen zu haben“,
so der 60-Jährige weiter. Zugleich könne er seine Augen nicht zumachen, um zu tun, als sehe er nicht, was passiere. „Die ganze Auseinandersetzung, die wir jetzt in der Türkei haben, überdeckt, dass das eigentliche Problem ist, dass in Idlib Zivilbevölkerung bombardiert wird und Hunderttausende dann in Richtung türkischer Grenze vertrieben werden“. Auch äußerte Gabriel sein Verständnis dafür, dass „Herr Erdogan bereits vier Millionen Flüchtlinge in seinem Heimatland hat“. Das Interesse Russlands an Europa muss aus seiner Sicht aber auch groß sein.
„Ich meine, wer soll Russland bei der Bewältigung seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten helfen? Wer soll das Land modernisieren? Das wird Kasachstan nicht können, Turkmenistan nicht und China wird es nicht wollen <…>.“
Also sind „ein dauerhafter Waffenstillstand in der Ukraine und der Rückzug der schweren Waffen aus dem Bereich“ seine Voraussetzung dafür.
Viel sprach Gabriel über die Herausforderungen Deutschlands und der EU in einer von den USA und China angeführten G2-Welt, wo „wir Europäer nur zuschauen“. Dabei ist der Politiker überzeugt:
„Vieles, was derzeit im Nahen Osten passiert, ist nichts anderes, als die Konsequenz, dass die Amerikaner sich zurückziehen und andere Mächte versuchen, in das Vakuum hineingehen, die Türkei, die Russen, die Iraner…“
Nur die Europäer würden dastehen und sich wundern und sich immer wieder fragen, wie man mit den Flüchtlingen umgehe. Auf die Frage des Moderators, ob das gemeinsame außenpolitische und militärische Auftreten der EU auch mehr Geld für den Verteidigungsetat bedeute, was der US-Präsident Donald Trump immer fordere, antwortete Gabriel:
„Das wollen doch alle von uns. Das wollen die Franzosen, die sagen, wir haben die Nase voll, dass wir bei den Konflikten mitspielen <...> und wir Deutschen lassen uns nur fotografieren.“ Die Fähigkeit, sich zu verteidigen, sei nicht etwas, was man entwickeln wolle, wenn der US-Präsident es von uns wolle. Die EU müsse in ihrem eigenen Interesse entscheiden, was man möge und könne, so Gabriel. „Viele in Europa sind sich nicht so sicher, dass sie sich auf die Deutschen verlassen können. <...> Auch wenn wir uns aus gutem Grund mit den Militäreinsätzen schwer tun, <...> wird es ja auch um die Frage gehen, ob wir uns militärisch einmischen.“
In Moskau verteidigte Gabriel noch Nato-Angriff auf Jugoslawien
Bei seinem letzten Moskau-Besuch im November 2019 hatte Gabriel mit Blick auf die Ukraine-Krise übrigens betont, die „Fehler“ des Westens im Umgang mit Russland seien nicht ausreichend gewesen, um „den Einsatz militärischer Gewalt gegen die Ukraine“ zu rechtfertigen. Die Sicherheitsinteressen Russlands seien, anders als behauptet, sehr wohl berücksichtigt worden. Ein Zuhörer aus dem Publikum verglich dann die Krim-Politik Moskaus sowie den militärischen Konflikt im Donbass unter angeblich russischem Einfluss mit dem ebenso völkerrechtswidrigen Nato-Angriff auf Jugoslawien. Ob die Moskauer Politik dadurch verständlich wäre, war die Frage. Gabriel wies den Vergleich als „absurd“ und „nicht vernünftig“ zurück. In Jugoslawien habe wirklich Völkermord stattgefunden, so Gabriel, und den zu verhindern, sei „die Lehre aus Auschwitz gewesen“. Die Ukraine habe dagegen 2014 nicht angefangen, Leute umzubringen, behauptete der Politiker. Dass am Anfang die Militärkampagne Kiews gegen die ostukrainische Bevölkerung stand, wollte Gabriel nicht erwähnen, genauso wie das Referendum auf der Krim, das es im Kosovo nie gegeben hat.
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