12-Punkte-Plan für die Ukraine – der Skandal von München, den keiner mitbekam

12-Punkte-Plan für die Ukraine – der Skandal von München, den keiner mitbekam
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz gab es einen kleinen Skandal. Ein 12-Punkte-Plan zur Befriedung der Ukraine wurde am Freitag auf der Website der Konferenz veröffentlicht, dann offenbar auf Druck des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Poroschenko gelöscht, aber Samstagnacht wieder online gestellt.
Zum Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz (MSK) forderte der Think Tank „Euro-Atlantic Security Leadership Group“ am Freitag eine politische Lösung im Ukraine-Konflikt. In einem gemeinsamen Statement präsentierte das Netzwerk "Zwölf Schritte zu größerer Sicherheit in der Ukraine und der euro-atlantischen Region". Zu den Unterzeichnern zählt auch der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger.

Hochkarätige Unterzeichner von beiden Seiten

Soweit, so gewöhnlich. Solche Arbeitspapiere und Analysen werden auf der MSK im Stundentakt veröffentlicht. Hier war es jedoch anders. Nur Stunden später veröffentlichte der US-amerikanische Think Tank „Atlantic Council“ eine Analyse und Gegenschrift, in der in scharfen Worten argumentiert wird, dass dieser 12-Punkte-Plan die Argumentation „des Kremls“ widerspiegele.
Meinungsverschiedenheiten zwischen Politologen verschiedener Lager sind normal, doch die Autoren dieses Friedensplans für die Ukraine sind nicht nur Wissenschaftler, sondern auch einige der hochrangigsten aktiven und ehemaligen europäischen, amerikanischen und russischen Politiker und Militärs. Zu den insgesamt 46 Unterzeichnern gehören neben Ischinger der ehemalige russische Außenminister Igor Iwanow, der ehemalige Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine Alexander Hug und überraschenderweise auch Philip Breedlove, ehemaliger Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa.

Dialog zwischen der Ukraine und Russland verbessern

Was ist nun so skandalös an diesem Thesenpapier, dass der Atlantic Council am Freitag sofort alles stehen und liegen ließ und eine Analyse und Replik verfasste? Eigentlich nichts oder nicht viel.
In der Einführung des 12-Punkte-Plans heißt es: „Der Konflikt in und um die Ukraine ist eine Tragödie für alle, die von der Gewalt betroffen sind. Es ist ein Brennpunkt katastrophaler Fehleinschätzung und eine dauernde Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität in der Euro-Atlantischen Zone. Eine politische Lösung ist essentiell, um den bewaffneten Konflikt in der Donbass-Region zu beenden, die Aussichten für einen konstruktiven Dialog zwischen der Ukraine und Russland – auch zum Thema Krim - zu verbessern und die Euro-Atlantische Sicherheit zu verbessern.“

Was ist also die Kritik des Atlantik Council?

Die amerikanischen Experten stören sich in ihrer Replik bereits an den ersten Worten des Thesenpapiers: „...in und um die Ukraine...“. Ihrer Meinung nach hat dieser Konflikt in erster Linie nichts mit der Ukraine zu tun, sondern mit Russland. Die Atlantiker schreiben: „Ohne die Führung, Finanzierung und Bereitstellung von Waffen (einschließlich schwerer Waffen), Munition und in manchen Fällen regulären Einheiten der Russischen Armee durch den Kreml, gäbe es keinen 'Konflikt in und um die Ukraine'“.

Schnelle Eingreiftruppe des Atlantic Council

Das Atlantic Council konnte immerhin auf die Schnelle 27 ehemalige US-Diplomaten, Regierungsvertreter und Experten für ihre Replik mobilisieren. Darunter sind unter anderem Wesley Clark, Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte im Kosovokrieg, Michael McFaul, ehemaliger US-Botschafter in Russland, der inzwischen dort Einreiseverbot hat, und Strobe Talbott, ehemaliger Vizeaußenminister der Vereinigten Staaten. Auch so ziemlich alle ehemaligen US-Botschafter in der Ukraine seit der Auflösung der Sowjetunion haben unterschrieben.
Sie werfen den Autoren des 12-Punkte-Plans vor, das Narrativ des Kremls zu bedienen: In der Replik des Atlantik Council heißt es „...spiegeln die Verhandlungsangebote oder Desinformationsthemen des Kremls wider. Außerdem beschreibt das Dokument die Lösung des Problems in Kreml-freundlichen Begriffen, was vielleicht dazu diente, Mitglieder der russischen Elite zu überreden, dies zu unterschreiben“.

Teilweise Aufhebung der Sanktionen für teilweise Erfüllung von Minsk 2?

Im Weiteren nehmen sich die US-Experten die zwölf Punkte des Thesenpapiers vor, von denen sie einige durchwinken, andere jedoch kategorisch ablehnen. Am deutlichsten regen sie sich über den in der Vergangenheit bereits mehrfach von einigen hochrangigen westlichen Politikern vorgebrachten Vorschlag auf, die Russland-Sanktionen Schritt für Schritt teilweise aufzuheben im Gegenzug für die teilweise Erfüllung von Punkten des „Minsk II“-Abkommens. Das Atlantic Council schreibt dazu: „Dieser Vorschlag würde die Position der Europäischen Union unterminieren, dass alle Punkte von Minsk erfüllt werden müssen, um die Sanktionen abzuschaffen.“
Die US-Experten sprechen sich auch dagegen aus, dass es in der Ukraine „einen neuen Dialog über Identität“ geben sollte, an dem sich auch Russland gern beteiligen könne, heißt es in dem 12-Punkte-Plan. Das Atlantic Council bezeichnet diesen Vorschlag als „dubioses Einmischen in die inneren Angelegenheiten der Ukraine.“ Weiter heißt es in der Replik: „Dies reflektiert Russlands Narrativ einer geteilten Ukraine, was zum 'Bürgerkrieg' im Donbass geführt hatte.“

Poroschenko mischt sich ein

Parallel zum Atlantic Council wurde am Freitag auch der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko aktiv, der ebenfalls auf der Sicherheitskonferenz weilte.  Er bezeichnete den 12-Punkte-Plan als „Münchner Verschwörung gegen die Ukraine“ in Anspielung an das Münchner Abkommen, das Hitler 1938 mit den führenden europäischen Ländern schloss. In dem Abkommen wurde bestimmt, dass die Tschechoslowakei innerhalb von zehn Tagen das Sudetenland an das Deutsche Reich abzutreten hat.
Das ukrainische Außenministerium drückte sich neutraler aus und erklärte, dass die Thesen nicht der offiziellen Position der Ukraine entsprächen. Sie seien „eine Privatinitiative einer Gruppe von Politikern und Experten, denen Fragen der internationalen Sicherheit und die Sicherheitssituation in der Ukraine nicht gleichgültig sind.“

Poroschenko lässt den Friedensplan löschen

Poroschenko ließ daraufhin all seine Beziehungen spielen und übte persönlich Druck aus auf die Organisatoren, wie ein Pressesprecher der MSK auf Facebook schrieb. Daraufhin wurde der 12-Punkte-Plan Freitagnacht von der Website der MSK gelöscht. Poroschenko schrieb am Samstag stolz auf Twitter:
„Die 12 Schritte der Russischen Föderation wurden durch unsere Bemühungen und die Bemühungen unserer Partner von der Website entfernt. Vielen Dank an die Organisatoren der Konferenz für ihre schnelle Reaktion.“
Erstaunlich, dass Proschenko Ischinger, Breedlove und anderes transatlantisches Spitzenpersonal unter den Autoren des Friedensplans praktisch als Vertreter der Russischen Föderation bezeichnet.

Dokument wieder auf der MSK-Seite

Samstagnacht wurde das Dokument jedoch wieder auf die Seite der MSK zum Download gestellt, wenn auch mit einem verkürzten Einführungstext.
Dass ein Dokument gelöscht wird von der offiziellen Website der Sicherheitskonferenz  ist schon ein ungewöhnlicher, wenn nicht skandalöser Vorgang. Der Pressedienst der MSK hat sich bisher offiziell nicht dazu geäußert. Auch der Chef der Sicherheitskonferenz Botschafter Ischinger, der die MSK am Sonntagmittag offiziell beendete, hat bisher keine Stellung bezogen zu den Vorgängen um den Ukraine-Friedensplan, dessen Koautor er ist.
An der 56. Auflage der Sicherheitskonferenz von Freitag bis Sonntag nahmen etwa 35 Staats- und Regierungschefs sowie fast 100 Außen- und Verteidigungsminister in München teil.


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