Chef der „Sicherheitskonferenz“ als Freund der Rüstungsindustrie und des Militärs?

Chef der „Sicherheitskonferenz“ als Freund der Rüstungsindustrie und des Militärs?
Am Freitag startet zum 56. Mal die „Münchner Sicherheitskonferenz“ (MSK), seit 2008 unter Vorsitz von Wolfgang Ischinger. Der will mehr deutsche Verantwortung in der Welt nicht nur in Worten, mehr Geld für Rüstung und unter anderem einen deutschen Einsatz in Libyen. In München wird er kaum Widerspruch hören. Den gibt es aber zu lesen.
Wolfgang Ischinger findet es „nicht toll“, dass die Bundesregierung zu wenig tut. Das wirft er ihr vor mit Blick auf das 2014 von der Nato verkündete und 2019 bekräftigte Ziel, die nationalen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) anzuheben. Seine Enttäuschung machte der Ex-Spitzendiplomat am Montag auf einer Pressekonferenz deutlich, die auf die am Freitag beginnende „Münchner Sicherheitskonferenz“ (MSK) einstimmte.
Aus diesem Anlass beklagte er sich, es werde zwar viel von mehr deutscher Verantwortung in der Welt geredet, aber zu wenig dafür getan. Das zeige sich unter anderem bei den Rüstungsausgaben. So böten die Reden von mehr Verantwortung „nur leere Worthülsen“, meinte der einstige bundesdeutsche Spitzendiplomat und Botschafter in den USA.
Er wünscht sich stattdessen ausdrücklich gleichfalls mehr militärische Einsätze der Bundeswehr in der Welt. Aus seiner Sicht erreicht Krisendiplomatie ohne militärische Mittel nichts, erklärte er am Montag den Journalisten. In seine Kritik bezog er die Europäische Union (EU) ein.

Ex-Spitzendiplomat widerspricht Ischinger

Ischinger hofft auf die MSK-Eröffnungsrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag. Steinmeier hatte 2014 in München als Bundesaußenminister – nebst der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – seinem Vorgänger Joachim Gauck zugestimmt. Dieser begann damals, mehr deutsche Verantwortung in der Welt einzufordern.
Es bleibt abzuwarten, ob Steinmeier nun mehr deutsche Taten in dieser Richtung ankündigt. Vielleicht übernimmt das Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn sie gleichfalls in München spricht. Ein anderer früherer bundesdeutscher Spitzendiplomat hat unterdessen den Klagen und Wünschen von Ex-Kollege Ischinger widersprochen: Ex-Botschafter Helmut Hoffmann, unter anderem von 2009 bis 2013 Leiter der bundesdeutschen Abrüstungsmission in Genf.
Er spricht sich in einem Beitrag in der aktuellen Ausgabe der außenpolitischen Zeitschrift „WeltTrends“ (Heft 160) gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato aus. Zur Frage der von seinem Ex-Kollegen geforderten „stärkeren internationalen deutschen Verantwortung“ meint Hoffmann:
„Auch wenn man dafür ist, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen soll, kann man angesichts der Erfahrungen, die mit bewaffneten Interventionen außerhalb Europas gemacht wurden, so in Somalia, Afghanistan, Irak oder Libyen, Zweifel haben, ob sich verstärkte ‚Verantwortungsübernahme‘ in mehr militärischen Einsätzen manifestieren sollte bzw. wird.“
Dagegen spricht aus seiner Sicht mehr dafür, sich „im bestverstandenen Eigeninteresse“ um die Klima- und Umweltprobleme, die Fragen der Armut und Unterentwicklung sowie die Probleme der Migration zu kümmern. Das sei „wesentlich dringlicher“ als „in diffus-spekulativer Erwartung künftiger militärischer Interventionsszenarien die Rüstungsanstrengungen massiv zu verstärken“.

Möchte Ischinger die Rüstungsindustrie beglücken?

„Es sei denn, man möchte die Rüstungsindustrie glücklich machen“, fügt Hoffmann hinzu. Damit dürfte er Sinn und Zweck der von Ischinger seit 2008 geleiteten Konferenz in München genauestens beschrieben haben. Zu der kommen neben Politikern und Militärs aus vielen Ländern zahlreiche Vertreter von Rüstungsunternehmen.
In seinem „WeltTrends“-Beitrag macht der ehemalige Abrüstungsdiplomat Hoffmann auf „Eigentümlichkeiten“ in den Argumenten derjenigen aufmerksam, die wie der MSK-Vorsitzende dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato das Wort reden.
Mehr Rüstung soll angeblich wegen der „aggressiven Handlungen Russlands“ im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise und der Krim 2014 notwendig sein. Daraus wird eine angebliche neue Bedrohung aus dem Osten für das westliche Bündnis konstruiert, gegen die es sich wappnen müsse. Andere Argumente sind die „faire Lastenverteilung“ innerhalb der Nato und eine für das gewünschte Mehr an Bundeswehr-Einsätzen nicht ausreichende Ausstattung derselben.

Andere Sicht auf russische Politik angeraten

Hoffmann widerspricht der angeblichen russischen Bedrohung: Moskaus Verhalten in der Ukraine-Krise, das er nicht unkritisch sieht, könnte zu den Spätfolgen des Zerfalls der Sowjetunion und der Nato-Osterweiterung gehören. Letztere habe in Russland für das Gefühl gesorgt, eingekreist zu werden. Er sieht das „nicht als Belege für aggressive Absichten oder gar Pläne gegenüber Nato-Mitgliedstaaten“, wegen denen aufgerüstet werden müsste.
Die historischen Ängste der Polen und Balten hält der bundesdeutsche Ex-Diplomat zwar für verständlich. Sie seien aber „nicht notwendiger Weise ein guter Ratgeber“, wenn es um gemeinsame europäische Sicherheit zusammen mit Russland gehe. Er begrüßt, dass zumindest Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht Russland zum „Feind der Nato“ erklärte, sondern stattdessen den internationalen Terrorismus.
Ex-Botschafter Hoffmann zweifelt ebenso den Maßstab des BIP in Sachen Aufrüstung an, nicht nur, weil es für diesen Wert unterschiedliche Berechnungen gibt: „Die BIP-Fixierung führt auch dazu, dass die Tatsache, dass manche Staaten für Stabilität, internationale Sicherheit und Friedenserhaltung wesentlich umfangreichere nichtmilitärische Leistungen erbringen als andere, im öffentlichen Diskurs kaum präsent ist.“

Warum reale Militärpotenziale nicht verglichen werden

Als weiteres wichtiges Gegenargument führt der Autor die tatsächlichen Militärpotenziale im Westen und im Osten an. „Wenn Russland schon als potenzieller Feind identifiziert wird, sollte die Forderung nach sehr umfangreichen Steigerungen der Nato-Rüstungsausgaben mit Daten zum Umfang von Verteidigungshaushalten und des Besitzes von Hauptwaffensystemen unterlegt werden.“ Doch solche Vergleiche seien kaum zu finden, stellt Hoffmann fest.
Der Grund dafür sei ein „einfacher“: Die vom renommierten Londoner International Institute for Strategic Studies veröffentlichten Daten zeigen, „dass die Nato eine überaus komfortable Überlegenheit innehat, was auch die Rüstungsausgaben von 2017 veranschaulichen“. Danach haben 2017 die Nato-Staaten 857,6 Milliarden US-Dollar für Rüstung ausgegeben, davon allein die USA 602,8 Milliarden US-Dollar. Für die Bundesrepublik werden 41,7 Milliarden US-Dollar angegeben. Russland liegt den Londoner Zahlen nach bei 45,6 Milliarden US-Dollar für Rüstung.
Der immer wieder gemeldete schlechte Zustand der Bundeswehr-Technik ist für Hoffmann kein Argument für mehr Rüstung, sondern für einen wirtschaftlicheren Einsatz der Mittel. Mehrausgaben sind aus seiner Sicht nur sinnvoll, wenn diese „der Bündnispflege und der von Macron betonten ‚strategischen Autonomie‘ der EU“ zugutekommen.

Ischinger will Brandstifter als Feuerwehr einsetzen

Hoffmann erinnert auch: „Meinungsumfragen belegen, dass in Deutschland eine starke Steigerung von Rüstungsausgaben nur wenig Unterstützung findet.“ Er vermutet als Grund dafür „ein geschärftes Bewusstsein von der dramatisch verbesserten Sicherheitslage in Europa insgesamt“ seit 1989/90.
Doch seinen Ex-Diplomaten-Kollegen Ischinger beeindrucken solche Argumente wahrscheinlich kaum. So wird er auf der MSK ab Freitag unter anderem dafür werben, dass die Bundeswehr in Libyen eingesetzt wird, nach einem UN-Sicherheitsratsbeschluss. Das kündigte er am Montag ebenfalls an, nachdem er sich bereits zuvor in Interviews dafür ausgesprochen hatte. Er sei unzufrieden, dass nach der Libyen-Konferenz in Berlin Mitte Januar nichts geschehen ist, um den Krieg in dem Land zu beenden.
Der MSK-Vorsitzende macht sich damit für einen Einsatz deutscher Soldaten „ausgerechnet in jenem Land stark, das durch die Intervention von Nato-Staaten und die Ermordung des libyschen Präsidenten Muamar al-Gaddafi 2011 erst zerstört und dann ins Chaos gestürzt wurde“. Darauf macht Rüdiger Göbel in der Ausgabe 3/2020 der Zeitschrift „Ossietzky“ vom 8. Februar aufmerksam.

Ischinger als „Befürworter völkerrechtswidriger Angriffskriege“

Göbel erinnert daran, dass Ischinger gegen die deutsche Enthaltung war, als 2011 im UN-Sicherheitsrat über die Intervention von Nato-Staaten in Libyen abgestimmt wurde. Der MSK-Chef wünschte in einem Beitrag für die Zeitung „Handelsblatt“ im März 2011 der Intervention „auf jeden Fall Erfolg“. Seine Begründung: „Ob mit oder ohne deutsche Beteiligung an der militärischen Intervention – wir haben ein massives Interesse am arabischen Frühling. Sollte sich Gaddafi durchsetzen, wäre dieser Frühling wohl vorerst zu Ende.“
Das zitiert Göbel ebenso wie die Aussagen Ischingers im Mai 2011 in der Zeitschrift „Cicero“ zum Nato-Angriff auf Libyen: „Die Sache darf jetzt nicht schiefgehen – selbst die militärisch im Abseits stehenden Deutschen müssen ein eminentes Interesse am möglichst raschen Erfolg der Intervention in Libyen haben. Nicht nur im Interesse des arabischen Frühlings, sondern im Interesse Europas.“Der Beitrag des MSK-Vorsitzenden hatte den bezeichnenden Titel „Es gibt keine gerechten Kriege – aber notwendige“. Die rüstungskritische „Informationsstelle Militarisierung“ (IMI) in Tübingen zählte das vor rund neun Jahren zu den Beispielen, die Ischinger als „Befürworter völkerrechtswidriger Angriffskriege“ – eben als Freund der Rüstungsindustrie und des Militärs – zeigen.
Anlass für die Auflistung war, dass der Ex-Spitzendiplomat Ende 2010 von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen zum Honorarprofessor berufen worden war. Sie ist heute noch aufschlussreich, um zu erfahren, wer da seit 2008 jährlich nach München zur „Sicherheitskonferenz“ einlädt – und das auch noch in den nächsten Jahren machen will, wie er am Montag erklärte.


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