„Ich mische mich nicht in Deutschland ein“ – Kurz stößt bei Merkel auf „deutliche Unterschiede“
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Montag ihren österreichischen Amtskollegen Sebastian Kurz im Kanzleramt empfangen. Bei einem gemeinsamen Mittagessen soll es um die Beziehungen beider Länder sowie um europa-, wirtschaftspolitische und internationale Fragen gegangen sein. Anschließend stellten sich die beiden den Fragen der Journalisten.
„…Unterschiede, deutliche Unterschiede“, waren die letzten Worte der Bundeskanzlerin zu Kurz beim Betreten der Bühne, bevor sie die Pressekonferenz eröffnete. Dann stand sie etwas ermüdet da und erzählte über das erste Treffen nach der Regierungsbildung in Österreich, über die Klimapolitik, in der man gemeinsame Ziele teile, über die am 20. Februar abgehaltene Sondersitzung des EU-Rates zur mittelfristigen Finanzierung der EU. In der Migrationsfrage stelle sich Deutschland die Wiederaufnahme der EU-Marinemission „Sophia“ vor, sagte sie (alles im Livestream nachzusehen). Zwischen 2016 und 2019 war „Sophia“ für die Kontrolle des UN-Waffenembargos gegenüber Libyen da, rettete aber viele Migranten im Mittelmeer.
Dann stand Kurz da, gut gelaunt, aufgestylt und ohne Notizblatt, sprach über 100 Milliarden Handelsbilanz mit Deutschland und Schitourismus, über die Richtung, in der sich die EU entwickeln solle, über 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030, Klimaneutralität bis 2040, aber „nicht auf Kosten der Steuerzahler“. Und allerdings über die neue Steuerreform.Kommt es zu den Fragen der Journalisten, lässt Kurz die Unterschiede auftauchen. Im EU-Budget halte Österreich z. B. den derzeitigen Vorschlag der EU-Kommission von 1,1 Prozent vom BIP für immer noch zu hoch. Dass Kurz sich weiter gegen die deutschen Pläne für eine Steuer auf Aktienkäufe auf EU-Ebene stemmt, bedauerte Merkel, denn „alle in der EU sind dafür“. Nach Scholz's Vorschlag soll bei Aktienkäufen eine Steuer von 0,2 Prozent anfallen. Kurz hatte vor dem Treffen gegenüber der „Welt“ kritisiert, die Pläne aus Berlin und Paris hätten mit den ursprünglichen Vorschlägen aus zahlreichen EU-Ländern nichts mehr zu tun, sondern nähmen hochspekulative Geschäfte und Derivate von einer Finanztransaktionssteuer aus und bestrafen stattdessen die Realwirtschaft und die Kleinanleger. „Wir sind für die Finanztransaktionssteuer als Spekulantensteuer, der Vorschlag von Scholz ist das, was wir ablehnen“, bekräftigte Kurz in der Pressekonferenz.
Migrationsfrage weiter in ÖVP-Kompetenz - Kurz zu Merkel: „Ich mische mich nicht in Deutschland ein“
Ein Land, das gar keine Küste habe und im Mittelmeer eine EU-Mittelmeermission der anderen Länder blockiere - wie geht das, wollte ein Journalist wissen, sowie was Österreichs Beitrag zur Umsetzung des UN-Waffenembargos wäre.
Man sei ja kein Land mit Küstengebieten, argumentierte Kurz, aber ein Zielland der Migranten und habe in den letzten Jahren erlebt, dass diese Rettungsaktionen im Mittelmeer nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätten.
„Sie haben nicht das Sterben im Mittelmeer beendet, sondern haben dazu geführt, dass es attraktiver war, sich auf den Weg zu machen, die Schlepper mehr verdient haben und dann immer mehr Menschen im Ergebnis ums Leben kommen.“
In Fall mit dem Waffenembargo sei man bereit, dieses zu unterstützen, die Marinemission „Sophia“ sei aber bisher immer eine Rettungsmission gewesen und keine Kontrollmission des Waffenembargos, so Kurz. Im „Welt“-Interview äußerte er noch, „Sophia“ sei für Tausende illegale Migranten zum Ticket nach Europa geworden. Die Initiative der Bundeskanzlerin, zum Frieden in Libyen einen Beitrag zu leisten, hält Kurz aber für „ganz, ganz wesentlich“. Ein Balanceakt.
„Bei der Rettungsmission ‘Sophia’ ist unsere Argumentation ganz anders“, wusste die Bundeskanzlerin zu widersprechen. Denn heute würden sehr viele private Schiffe Seenotrettung betreiben und es sei besser, wenn man wieder eine staatliche Mission habe. Auch mit der libyschen Küstenwache wolle man bei aller Unzulänglichkeit weiter arbeiten. Dabei hat sich die Zahl der ankommenden Flüchtlinge laut Merkel erheblich reduziert. „Wir setzen hier die Schwerpunkte unterschiedlich, das muss man einfach so sagen“, sagte Merkel schmunzelnd.
Dies hält Merkel von schwarz-grüner Koalition in Berlin
„Herr Bundeskanzler, sie empfehlen Deutschland eine schwarz-grüne Koalition“, begann dann eine Journalistin und wurde sofort von Kurz unterbrochen. „Ich mische mich nicht ein“, lächelte der 33-Jährige zurück.
„Können Sie die Bundeskanzlerin aber überzeugen? Die Bundeskanzlerin, sehen Sie in der Union Rückhalt für so etwas?“, wollte die Journalistin weiter wissen. Gemeint wurden die Aussagen von Kurz im neuesten „Welt“-Interview, die nächste deutsche Regierung dürfte schwarz-grün sein.
Kurz zeigte sich zuversichtlich: Man habe es durch eine neue Form der Kompromissfindung geschafft, dass diese Koalition überhaupt möglich sei. Die Grünen seien klar in der Themenführerschaft und in der Verantwortung, was den Klimawandel betreffe, aber auch in den Fragen der Transparenz in Österreich.
„Und wir als Volkspartei geben die Linie vor in den Bereichen Wirtschaft, Standort und in der Migrationsfrage… Ich mische mich ganz bewusst nicht in Deutschland ein, ich habe mich nur dazu verleiten lassen, eine Wette einzugehen.“
Kurz könne sich also vorstellen, dass nach der nächsten Wahl in Deutschland eine ähnliche Koalition möglich sei, die Wählerinnen und Wähler und dann die Verantwortlichen in der Partei müssten aber entscheiden.
Merkel zeigte sich in dieser Frage viel zurückhaltender. Man habe in Deutschland die augenblicklichen Umfragen und Ausgänge der Wahlen, dass in Deutschland die Wahlergebnisse für die Koalitionswahl immer sehr knapp seien. Deshalb könne vom heutigen Tag sehr schwer vorausgesehen werden, was das Ergebnis der Bundestagswahl sein werde. Aber man habe mit den Grünen schon eine bessere Gesprächsfähigkeit. Der Wähler müsse jedoch sprechen. „Es fließt noch ziemlich viel Wasser die Spree oder die Havel oder den Rhein runter“, resümierte Merkel.
Am Dienstag will Kurz Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier treffen.
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