„Es beginnt mit ‚Saujude‘ und endet im Krematorium“ – Neue Dauerausstellung zur Wannsee-Konferenz

„Es beginnt mit ‚Saujude‘ und endet im Krematorium“ – Neue Dauerausstellung zur Wannsee-Konferenz
​​​​​​In der Berliner Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ ist eine neue Dauerausstellung eröffnet worden. In der ehemaligen Villa mit Blick über den Großen Wannsee fand am 20. Januar 1942 jene Konferenz hochrangiger Beamter des Dritten Reiches statt, die dort die sogenannte Endlösung – die Ermordung der europäischen Juden – organisierte.Die Gedenkstätte am Großen Wannsee ist in jeder Beziehung ein Symbol für die diabolische Grausamkeit und verlogene Ambivalenz des NS-Regimes, die sich gerne den Mantel bürgerlicher Normalität überstreifte. Noch heute verstört es viele Menschen, dass die Mörder der europäischen Juden morgens brutalste Verbrechen organisierten und ausführten und abends mit der Familie Bücher von Goethe lasen oder Hauskonzerte mit Werken von Bach oder Wagner spielten.
Es ist überliefert, dass die Kinder von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz, zeitlebens unter diesem Widerspruch litten, bezeugten doch später selbst Häftlinge des KZ, die im Haus des Lagerkommandanten arbeiteten, wie liebevoll Höß mit seinen fünf Kindern umging. Derselbe Mann, der später als so unfassbar sadistisch und brutal beschrieben wurde, dass sich selbst überzeugte Gegner der Todesstrafe kein anderes als das gegen ihn ausgesprochene Todesurteil als angemessene Strafe für seine Verbrechen vorstellen konnten.
Die Wannsee-Villa als Spiegelbild des Aufstiegs der NazisAuch die mondäne Villa an der Straße Am Großen Wannsee 56-58 ist weit mehr als nur durch die Konferenz von 1942 mit der Nazibarbarbei verbunden, kann dies aber sehr wirksam hinter ihrer hochherrschaftlichen Fassade verbergen. Vom Berliner Unternehmer Ernst Marlier, Hersteller diverser pharmazeutischer Produkte, die später als komplett wirkungslos entlarvt wurden, 1914 in der Alsen-Kolonie am Großen Wannsee erbaut, musste der stets im Clinch mit den Gesetzen befindliche Marlier sie aber 1921 an den ebenso skrupellosen Industriellen Friedrich Minoux verkaufen, der während der Inflationsjahre mit windigen Spekulationsgeschäften ein Vermögen machte, die ihm, zusammen mit massiver Veruntreuung, später im Nazireich zum Verhängnis werden sollten.Doch zunächst nutzten die Nazis Minoux für ihre Zwecke, auch wenn der Mann sich recht schnell als unsicherer Kantonist entpuppte. Minoux, von dem Stahlbaron Fritz Thyssen in seinen Memoiren „I paid Hitler“ schrieb, er habe schon 1923 die NSDAP finanziell unterstützt, organisierte am 21. Februar 1923 in seinem nun „Villa Minoux“ genannten Haus am Großen Wannsee ein Treffen zwischen dem ehemaligen Generalquartiermeister Erich Ludendorff, einem der wichtigsten und einflussreichsten Rechtsextremen der Weimarer Republik, und Generalmajor Hans von Seeckt, dem Chef der Obersten Heeresleitung, der zu diesem Zeitpunkt in Putschplanungen involviert war. Im Oktober 1923 traf sich Minoux in München erneut mit Ludendorff und einem anderen Mann – Adolf Hitler.Hitler und Minoux wurden keine Freunde. Aber Minoux profitierte vom Rassenwahn der Nazis. 1938 bereicherte er sich schamlos an der Arisierung der „Cellulosefabrik Phil. Offenheimer“ im südhessischen Okriftel. Doch die Freude währte nur kurz, denn im gleichen Jahr kam heraus, dass Minoux ebenso schamlos jahrelang in die Kassen kommunaler Wirtschaftsbetriebe von Berlin gegriffen hatte, in deren Aufsichtsräten er saß. 1940 wurde er verhaftet und 1941 zu fünf Jahren Haft und einer hohen Geldstrafe verurteilt. Nun zeigten ihm die Nazis, was es bedeutet, in einer Notlage Vermögen verkaufen zu müssen. Denn aus der Untersuchungshaft heraus zwang ihn die Nordhav-Stiftung zum Verkauf seiner Wannsee-Villa. Die Nordhav-Stiftung wurde 1939 von Reinhard Heydrich, dem Chef des berüchtigten Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), errichtet und machte für die SS Immobiliengeschäfte. Der Kaufpreis wurde zur Deckung der Regressforderungen gegen Minoux verwendet.Das Protokoll der Wannsee-Konferenz als Dreh- und Angelpunkt der neuen DauerausstellungEs ist überliefert, dass Heydrich auf den Kauf der Villa drängte, weil Propagandaminister Josef Goebbels ein Auge auf die Immobilie geworfen hatte. Heydrich machte aus der Villa ein Gästehaus für hohe SS-Offiziere. Am 20. Januar 1942 war Heydrich dann mit anwesend, als sich dort weitere 14 hochrangige Staatsbeamte und SS-Funktionäre mit ihm zu jener Konferenz zusammenfanden, die als Wannsee-Konferenz trauriger Berühmtheit erlangte und zu einem Synonym für die moralische Verkommenheit Nazideutschlands geworden ist. Die Wannsee-Konferenz organisierte und koordinierte in 90 Minuten die industriell betriebene Ermordung der europäischen Juden, die im Protokoll der „Besprechung“ bürokratisch kalt als „Endlösung der Judenfrage“ tituliert wurde.Dieses Protokoll, das von Adolf Eichmann, dem seinerzeitigen „Judenreferenten“ im RSHA ,erstellt und von dem 30 Kopien angefertigt wurden, von denen eine im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes aufbewahrt wird, ist nach wie vor das Herz der Dauerausstellung in der nunmehrigen Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“. Denn die 15 Seiten dieses Protokolls sind das wirksamste und zugleich das traurigste Argument gegen all jene Zeitgenossen, die allen Ernstes immer noch die Shoa anzweifeln, egal ob in Gänze oder in Teilen.Das betrifft vor allem die Aussagekraft des Protokolls, in dem Wörter wie Gaskammer, Vergasung, Zyklon B oder Auschwitz nicht erwähnt werden. Immer wieder Grund für Geschichtsrevisionisten, daran zu zweifeln, ob am 20. Januar 1942 tatsächlich die „Endlösung“ beschlossen bzw. mit preußischer Akkuratesse organisiert und koordiniert wurde, wo in dem Protokoll doch angeblich „nur“ von der Deportation von 11 Millionen europäischen Juden „nach dem Osten“ zu lesen ist. Was dabei immer bewusst oder unbewusst ignoriert wird, sind die Vielzahl von Dokumenten, die inzwischen erschlossen wurden, die in Folge der Konferenz entstanden und das ganze bis heute unvorstellbare Ausmaß des industriellen Mordens verdeutlichen. Vor allem aber werden die umfangreichen Aussagen von Adolf Eichmann vor und während seines Prozesses in Jerusalem außer Acht gelassen, in denen Eichmann immer wieder davon berichtete, dass die relativ nüchterne Sprache des Protokolls nicht die über jeden Zweifel erhabenen Inhalte der tatsächlichen Gespräche wiedergibt, in denen klipp und klar über die Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern gesprochen wurde.Es ist deshalb das Ziel der neu konzipierten Dauerausstellung, mit multimedialen und interaktiven Darstellungsformen in Bild und Ton die bitteren und in abertausenden Dokumenten überlieferten Realitäten des Holocaust in das Internetzeitalter zu übersetzen. Die prioritäre Zielgruppe ist damit angedeutet. Denn die Generationen, die nach dem Ende des Grauens und der Barbarei auf die Welt gekommen sind, die heute im Internet mit allen möglichen und unmöglichen Verschwörungstheorien über den Holocaust überflutet werden, die häufig aus familiären Umgebungen kommen, in denen aus kulturellen und/oder religiösen Gründen ein zuweilen fanatischer Antisemitismus gepflegt wird – für diese Generationen ist die neue Dauerausstellung vor allem entworfen worden. Aber auch für den nicht besonders geschichtsgebildeten oder -interessierten Durchschnittsbürger, wie Dr. Hans-Christian Jasch, Direktor der Gedenkstätte, bei der Eröffnung der Ausstellung erklärt:„Wannsee steht ja für einen ganz komplexen Vorgang. Es geht eigentlich um Verwaltung, es geht um die Arbeitsteiligkeit des Mordens. Und es ist natürlich ein besonderer Spagat oder eine besondere Herausforderung, das in einer Form darzustellen, die sich auch dem breiten Publikum relativ schnell erschließt.“Ausstellungen wie in der Wannsee-Villa müssen in Zukunft sterbende Zeitzeugen ersetzenDass, was Ausstellungen wie die in der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ in Zukunft aber vor allem leisten müssen, ist mehr als der von Dr. Jasch angedeutete „Spagat“. Ausstellungen wie diese müssen in Zukunft kompensieren, dass es schon sehr bald keine Zeitzeugen mehr geben wird, die Auskunft über die Unmenschlichkeit, über das Morden und die Ursachen, die dazu führten, geben können. Es war deshalb ein Glücksfall, dass zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung Éva Fahidi aus Ungarn nach Berlin kam. Die 94-jährige, in Debrecen geborene Fahidi überlebte als einzige ihrer Familie, die 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Éva Fahidi überlebte nur, weil sie als arbeitsfähig eingestuft in ein Außenlager des KZ Buchenwald deportiert wurde.Und da der große Viktor Klemperer in seinem Standardwerk „Lingua Tertii Imperii“ mahnte, dass das Morden in Nazideutschland mit der Sprache begann, die Menschen entwürdigte, ihnen ihr Menschsein raubte, erinnert auch Éva Fahidi daran:„In gewissen Dingen hat meine Generation gewiss, die Überlebenden ganz bestimmt, ein schärferes Gehör als ein anderer Mensch. Also, ich weiß schon: Wenn es irgendwo anfing mit ‚Saujude‘, dann endete das im Krematorium.“


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