Sex- und Korruptionsskandal erschüttert Orbáns System

Sex- und Korruptionsskandal erschüttert Orbáns System
Normalerweise haben Kommunalwahlen in Ungarn eher eine geringe Bedeutung. In den vergangenen zehn Jahren auch deshalb, weil die Regierung des Ministerpräsidenten Viktor Orbán den einst starken Selbstverwaltungen die meisten Befugnisse entzog und das Land hyperzentralisierte. Doch diesmal verhält es sich anders: Noch keine Kommunalwahl hatte in der postkommunistischen Geschichte Ungarns einen so großen symbolischen Stellenwert wie die am kommenden Sonntag.
Aus gutem Grund: Zwar regiert Viktor Orbán seit 2010 mit Zwei-Drittel-Mehrheit und auch seine Partei Fidesz beherrscht das Land kommunal nahezu flächendeckend. Doch diesmal ist die bislang zersplitterte Opposition vielerorts zum ersten Mal gemeinam angetreten - obwohl ihr Spektrum von links bis nach rechtsaußen reicht. Auch in Budapest: Hier ist der linke Lokalpolitiker Gergely Karácsony gemeinsamer Kandidat der Opposition und liegt mit dem Fidesz-Amtsinhaber István Tarlós in letzten Umfragen gleichauf.
Eine Art letzte Chance: Siegt die Opposition mit dem Konzept der gemeinsamen Kandidaten, gibt es Hoffnung, Orbáns erdrückende Übermacht irgendwann zu brechen. Verliert sie, ist das wohl das Ende der jetzigen oppositionellen Parteienlandschaft. Für Orbán hingegen wäre ein Verlust der Lokalmacht in Budapest und anderswo ein empfindlicher symbolischer Schlag.
Eine schmutzige Wahlkampagne
Kein Wunder, dass er und seine Partei Fidesz eine äußerst unfaire und schmutzige Wahlkampagne führten, in der Ungarns politische Kultur einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. Oppositionskandidaten wurden polizeilich bedrängt, ihre Veranstaltungen von Fidesz-Aktivisten gestört, Regierungspolitiker erfanden haarsträubende Lügen über ihre angeblichen Pläne, in Ungarn massenweise Migranten anzusiedeln. Mehr noch: Orbán und andere Fidesz-Politiker drohten mal indirekt, mal offen damit, dass Städten und Kommunen Finanzmittel entzogen würden, sollten Oppositionskandidaten gewinnen.
Zsolt BorkaiZsolt Borkai: Sex-Party Party auf einer Jacht an der kroatischen Adriaküste
Doch nun platzt in diese Kampagne eine Sex- und Korruptionsaffäre um einen der erfolgreichsten Fidesz-Bürgermeister Ungarns hinein: um Zsolt Borkai, einst Olympiasieger im Turnen, heute Bürgermeister der nordwestungarischen Großstadt Györ, in der seit vielen Jahren eines der größten Audi-Werke weltweit angesiedelt ist - eine der wichtigsten Unternehmen für Ungarns Wirtschaft.
Sex auf einer Jacht an der Adria
Ein unbekannter Blogger, der sich "Anwalt des Teufels" nennt und vorgibt Rechtsanwalt aus dem Umfeld Borkais zu sein, veröffentlicht seit einigen Tagen auf verschiedenen Webseiten Sex-Videos über Borkai und Informationen zu seinen angeblichen korrupten Machenschaften in Györ. Die Sex-Filme, die vom Mai 2018 stammen, zeigen Borkai bei einer orgienartigen Party auf einer Jacht an der kroatischen Adriaküste. In einer Szene hat er Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten. Borkai hat zugegeben, dass die Aufnahmen authentisch sind, bestreitet allerdings einige Vorwürfe, wie den des Drogenkosums. Bei seiner Familie entschuldigte er sich, einen Rücktritt als Bürgermeister lehnte er ab.
Borkais Teilnahme an einer derartigen Orgie ist schon an sich anrüchig - denn er wirbt mit dem Slogan, ein guter Familienvater zu sein, und propagiert die christlich-konservativ-traditionellen Werte von Fidesz. Doch das Wesentliche ist etwas anderes: Im Zuge der veröffentlichten Sex-Videos kommt derzeit scheibchenweise heraus, wie Borkai, seine Familie und einige seiner Getreuen sich offenbar massiv bereichert haben.
Das Geld in den Steueroasen
Der unbekannte Blogger nennt das System die "Krake von Györ". Sein Vorwurf in Kurzfassung: Borkai und seine Vertrauten würden jährlich öffentliche Gelder in Millionenhöhe entwenden und auf Off-Shore-Konten leiten. Beweise hat er bisher keine präsentiert. Doch Recherchen ungarischer Medien erhärten die Vorwürfe. So veröffentlichte das Wirtschaftsmagazin "hvg" in seiner neuesten Ausgabe von diesem Donnerstag umfangreiche Informationen über ein Netz aus luxemburgischen und Off-Shore-Firmen aus dem engen Umfeld von Borkai. Die Eigentümer und Teilhaber sollen auf trickreiche Weise an öffentliche Gelder und an Gelder des Audi-Konzerns gelangt sein. Zentrale Figur ist Borkais Freund und Anwalt Zoltán Rákosfalvy, der ebenfalls in den Sex-Videos auftaucht.
Viktor OrbanDaumen drücken, denn es könnte brenzlich werden für Viktor Orbán
Er stand bereits 2012 im Zentrum einer Korruptionsaffäre: Damals hatte er preiswertes Ackerland am Stadtrand von Györ erworben, das später zu Industriebauland umdeklariert wurde. Der Audi-Konzern hatte dort sein Logistik-Zentrum errichtet. Audi bestreitet gegenüber der Deutschen Welle, etwas mit dieser Affäre zu tun zu haben. Man habe das Gelände und das Logistikzentrum zunächst nur gemietet und erst 2014 erworben, erklärte eine Audi-Hungaria-Sprecherin auf Anfrage.
Die Natur von Orbáns System
Andere ungarische Medien dokumentierten, dass Firmen von Borkais Ehefrau und seinen Kindern von der Stadt Györ zahlreiche Aufträge und finanzielle Zuwendungen erhalten. Borkais Sohn Ádám soll zudem von einer Firma, die keinerlei aktive Geschäftstätigkeit vorweisen kann, monatlich rund 3000 Euro kassieren. Insgesamt reichen die Fäden der Affäre bis ins Umfeld der Regierung und von Viktor Orbán - einige der von "hvg" genannten Geschäftsleute aus dem Umfeld von Borkai sind auch Freunde und Geschäftspartner des Vize-Regierungschefs Zsolt Semjén sowie von Orbáns Schiegersohn István Tiborcz, gegen den vor Jahren das EU-Betrugsbekämpfungsamt Olaf wegen eines Falles von dreistem Subventionsbetrug ermittelte.
"Die Borkai-Affäre demaskiert die Natur von Orbáns System", lautet die Schlussfolgerung von "hvg". Der Skandal könnte nun zu einer Art Referendum über dieses System Orbáns werden. Einige Fidesz-Politiker äußerten vorsichtig Kritik am Györer Bürgermeister. Orbán selbst schweigt eisern. Warum, das begründete er auf dem kürzlichen Fidesz-Kongress so: "In der Politik ist das elfte Gebot notwendig. Es lautet: Sage nichts Schlechtes über deinen Fidesz-Kameraden."
DW​​​

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